Fingerzeige bleiben aus

Mit dem Franzosen Fabrice Santoro und dem schwedischen Sieger Thomas Johansson standen beim Tennisturnier in Halle zwei Akteure im Finale, die bisher nicht eben als Rasenspezialisten galten

aus Halle/WestfalenMICHAEL BECKER

Die wenigen Rasenturniere nach den French Open in Paris gelten gemeinhin als Fingerzeig für das dritte Grand-Slam-Turnier der Saison. Betrachtet man aber den diesjährigen Verlauf der Gerry Weber Open im westfälischen Halle, so weiß man im Hinblick auf Wimbledon eigentlich nur, dass man nichts weiß. Weder der top gesetzte Jewgeni Kafelnikov, der das Turnier bereits zweimal gewinnen konnte, noch der an Position zwei gesetzte Patrick Rafter, im letzten Jahr Finalgegner von Pete Sampras in Wimbledon, erreichten diesmal das Finale. Der Wettbewerb zeichnete sich vielmehr durch einen „Alles ist möglich“-Charakter aus, was sich denn auch im Finale niederschlug: Dieses gewann der bevorzugt von der Grundlinie agierende Schwede Thomas Johansson gestern gegen den ungesetzten Franzosen Fabrice Santoro mit 6:3, 6:7 (5:7), 6:2, der zuvor für einiges an Furore gesorgt hatte.

„Er ist ein Zauberer auf dem Platz“, hatte Patrick Rafter nach seinem Viertelfinalsieg gegen den jungen Schweizer Roger Federer respektvoll über Santoro gesagt. Dass der Franzose mit der unorthodoxen Spielweise – Santoro schlägt sowohl die Rückhand als auch die Vorhand mit beiden Händen – auch ihn selber im Halbfinale mit 7:5 und 6:4 entzaubern würde, hatte Rafter freilich nicht befürchtet, als er hinzufügte: „Wenn ich so weiterspiele wie bisher, gibt es keinen Grund dafür, dass ich nicht auch ihn schlagen sollte.“

So sahen es eigentlich alle. Schließlich ist Santoro zwar als respektabler Allrounder bekannt, auf dem schnellen Rasen war bis dato jedoch ein Viertelfinaleinzug beim ATP-Turnier in Nottingham vor zwei Jahren sein größter Erfolg. Jahrelang hatte sein Vater auf ihn einreden müssen, überhaupt auf Rasen anzutreten. Rafter hingegen zählt zu den besten Rasenspielern der Welt. Zudem hatte sich der Australier in Halle in seinen ersten Einzel in beeindruckender Form gezeigt. An der Seite des Weißrussen Max Mirnyi erreichte er zudem noch das Doppelfinale und konnte also in Halle innerhalb weniger Tage reichlich Matchpraxis sammeln, von der er selbst sagt, sie sei das A und O.

Alles sprach also für einen Finaleinzug Rafters. Es fiel sogar schwer, in ihm nicht schon den Turniersieger von Halle zu sehen. Pustekuchen. Santoro spielte zwar wie gewohnt und somit verhältnismäßig unspektakulär, dafür aber ungemein effektiv. Beinahe ohne leichte Fehler, mit einer enorm hohen Quote erster Aufschläge, denen er konsequent ans Netz folgte, und einem sowohl sicheren als auch äußerst variablen Returnspiel setzte der Franzose Rafter immer wieder unter Zugzwang und zog dem Favoriten damit letztendlich regelrecht den Zahn.

So richtig glauben konnte Santoro es nach dem Match dennoch nicht, dass er ohne Satzverlust das erste Rasenfinale seiner Karriere erreicht hatte. Während die Journalisten bei der Pressekonferenz noch über schlaue Fragen nachsannen, strahlte der 28-Jährige in die Runde und brachte die Situation auf den Punkt: „Sie schauen genau so überrascht drein wie ich selber.“

Da auch Santoros Finalbezwinger Johansson eher von der Grundlinie spielt, als den schnellen Weg ans Netz zu suchen, wie es für klassische Rasenspieler üblich ist, ergab sich plötzlich die Frage: Ist die Zeit der Rasenspezialisten vorbei oder stellt das Turnier in Halle nur eine eher zufällige Momentaufnahme im schnelllebigen Herrentennis dar? Wirft man einen Blick über den Ärmelkanal auf das Turnier im Londoner Queen’s Club, drängt sich eher die zweite Variante auf. Mit Pete Sampras, Leyton Hewitt, Wayne Ferreira und Tim Henman waren dort bereits im Halbfinale die Serve-and-Volley-Künstler unter sich.

Auf den überraschenden Turnierverlauf angesprochen, deutete Davis Cup-Teamchef Carl-Uwe Steeb jedoch an, dass sich die Tendenz von Halle in den nächsten Jahren fortsetzen könnte: „Die Zeit, in der auf dem schnellen Rasen gespielt wird, dauert nur wenige Wochen im Jahr. Ansonsten sind die Plätze, auch die Hartplätze, in den letzten Jahren immer langsamer geworden, sodass nicht nur Aufschlagspezialisten gute Ergebnisse erzielen können. Ich denke, dass sich Tennis zum Allroundspieler hin entwickelt.“

Wir wissen also, dass wir nichts wissen. Ob Spieler wie Santoro oder Johansson auch bei dem in einer Woche beginnenden Grand Slam in Wimbledon weit vorne landen werden, bleibt abzuwarten. Eines scheint allerdings sicher: Auch in diesem Jahr dürfte der Sieg in Wimbledon nur über Pete Sampras führen.