Clement will kein Kannibale sein

Zum Abschluss des 29. Evangelischen Kirchentages in Frankfurt am Main votierten Tausende gegen Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik und Klonen. NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement verteidigte Stammzellenimport

aus Frankfurt HEIDE PLATEN

6.000 in der großen Festhalle auf dem Frankfurter Messegelände, 2.000 am Samstag in Halle 7: Die Gentechnologie war das zentrale Thema des 29. Evangelischen Kirchentages, dessen Abschluss gestern Vormittag 80.000 Menschen mit einem Gottesdienst im Waldstadion feierten. Mit Spannung war der Auftritt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (SPD) erwartet worden, dessen außerplanmäßiger Besuch für Unfrieden hinter den Kulissen sorgte.

Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD), hatte es geheißen, wolle keinesfalls mit ihrem Parteigenossen zusammen auf dem Podium sitzen. Clement kam am Nachmittag und hörte sich Kritiker und Befürworter von Präimplantationsdiagnostik (PID) und Embryonenforschung als Zuschauer an. Für ihn war eigens eine Sonderveranstaltung ausgerichtet worden, in der er Rede und Antwort stand – im Dialog mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda. Ende Mai hatte Clement öffentlich den Import von Stammzellen aus Israel gefordert. Die Stammzellen, aus Embryonen gewonnen, seien für deutsche Forscher unerlässlich, wollten sie nicht den internationalen Anschluss verlieren.

Am Nachmittag hatte der Bonner Neuropathologe Otmar Wiestler gegenüber den Kritikern zwar konstatiert, dassmenschliches Leben mit der Befruchtung der Eizelle beginne. Stammzellen aber würden aus Embryonen gewonnen, die sich noch nicht in der Gebärmutter hätten einnisten können. Wiestler stellte die Frage, ob „menschliches Leben zu jeder Zeit in gleicher Weise schützenswert“ sei. Die für die Forschung benötigten Embryonen seien „der Abfall“ künstlicher Befruchtungen, lagerten in Haifa und anderswo tiefgefroren und ungenutzt und seien „dem Tode geweiht“. Warum, fragte Wiestler, solle man sie dann nicht in den Dienst der Wissenschaft stellen? Clement schloss sich dieser Argumentation in der folgenden Debatte an und stellte fest, die Forschung an Embryonen sei zwar in Deutschland verboten, nicht aber der Import von Stammzellen. Auch er wolle keine Gesetzesänderung und selbstverständlich das ungeborene Leben schützen: „Ich möchte nicht ein Kannibale sein, der Embryos verwertet!“

Einig waren sich Kritiker und Befürworter darin, dass die Stammzellenforschung auch mit so genannten adulten Zellen, also denen von Erwachsenen, möglich sei. Allerdings, so Wiestler, brauche man die befruchteten Eizellen, um zu entschlüsseln, wie ihre Entwicklung funktioniere. Das, hielt ihm die Biologin Regine Kollek, entgegen, sei in Tierversuchen längst erforscht und könne auch mit Zellen anderer Primaten weiter verfolgt werden. Konsens bestand darüber, dass das Versprechen, durch Gentechnologie Krankheiten wie Diabetes, Alzheimer und Parkinson heilen zu können, bisher nur als Option gemeint ist. Wenn dies aber so sei, sagte Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin, sei erst recht darauf zu achten, „dass nicht schon wieder neue Fakten gesetzt werden“. So lange müsse alles so bleiben, „wie es heute ist“. Auch Clement, der zunächst auf eine rasche Entscheidung der Politik gedrängt hatte, betonte am Ende, er wolle derzeit keinesfalls eine Gesetzesänderung, werde sich aber weiter für den Import von Stammzellen einsetzen: „Dies Projekt ist mein Anliegen.“

Professor Ernst Benda räumte eine mögliche Gesetzeslücke beim Import von Stammzellen ein. Aber: Wer wolle sich anmaßen, zwischen dem Recht des Ungeborenen auf die noch nicht begonnenen „70 Jahre Leben“ und den Interessen eines todkranken, alten Menschen zu entscheiden. „Ich möchte es nicht.“

Zum Ende des Gentechnik-Forums verabschiedeten die Teilnehmer mit großer Mehrheit zwei Resolutionen. In ihnen wird gefordert, PID, Embryonenforschung, Klonen und die Patentierung von Lebewesen zu verbieten und künstliche Befruchtung und Pränataldiagnostik strenger zu kontrollieren, damit deren Nutzen „wieder größer als ihr Schaden werden kann“.

kommentar SEITE 11