Nur nicht Joschka Fischer ärgern

Große Einigkeit war angesagt beim kleinen Parteitag der Grünen am Wochenende in Berlin. Doch aus einem übereifrigen Versuch, es dem Bundesaußenminister recht zu machen, entwickelt sich eine hitzige Debatte zur US-Raketenabwehr

von PATRIK SCHWARZ

„Ich lass mich von dem nicht so verarschen!“ Claudia Roths Finger weist anklagend auf das Podium. Dort sitzt der Versammlungsleiter beim kleinen Parteitag der Bündnisgrünen, Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer. Ein Antrag zu den amerikanischen Plänen für eine Raketenabwehr ist in eine wilde Geschäftsordnungsdebatte umgeschlagen. Lange Zeit war das auf grünen Parteitagen ein sicheres Zeichen, dass die Dinge aus dem Ruder laufen. Und in der Tat: Kurz nach dem Ausbruch der Parteichefin wird die Beratung abgebrochen, Vertagung heißt das offiziell. Bütikofer, Roth und ihr Covorsitzender Fritz Kuhn verschwinden zu erregten Gesprächen im Separee. Erst eine Stunde vor Mitternacht machen sie sich auf den Heimweg.

Die Tagesordnung versprach Konsens, nicht Konflikt. Die große Mehrheit der Grünen lehnt die Raketenabwehr ebenso ab wie die Präimplantationsdiagnostik (PID), das zweite Schwerpunktthema des so genannten Länderrats. Die PID-Debatte am Samstag verlief so harmonisch wie erwartet. Der Streit um die Raketenabwehr erwies sich rückblickend als Ergebnis eines übereifrigen Versuchs, Joschka Fischer nicht zu verärgern.

Bei der Vorbereitung des Parteitags hatte der Bundesvorstand gehofft, den Tagesordnungspunkt ohne eine förmliche Beschlussfassung über die Bühne zu bekommen. Fischers Kurs einer vorsichtigen Opposition zu Missile Defence (MD) sollte nicht gefährdet werden. Doch Mitglieder der „Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden“ wollten die Partei auf eine kompromisslose Ablehnung von MD festlegen. Claudia Roth erbot sich im Vorfeld, einen Kompromiss mit dem Auswärtigen Amt zu suchen.

Im Ergebnis wurde der Antrag um eine ausdrückliche Würdigung der Arbeit der Bundesregierung ergänzt. Deshalb beschloss der Bundesvorstand noch am Freitag gegen die Stimme von Bütikofer, dem Antrag auf dem Parteitag keinen Widerstand entgegenzusetzen. Trotzdem trat vor den Delegierten nicht nur Fischers engster Vertrauter Achim Schmillen, der Leiter seines Planungsstabes, als Kritiker des Antrags auf. Unvermutet und gegen die Abmachung im Bundesvorstand trat auch Bütikofer ans Mikro. Er bemängelte unter anderem, der Antrag untertreibe die Bedrohung, die von Staaten wie Irak oder Nordkorea ausgehe.

Nicht nur Claudia Roth, der Vermittlerin, platzte der Kragen. Auch die Antragsteller sahen sich getäuscht. „Dann hätten wir den Antrag gar nicht erst ändern müssen“, empörte sich Thüringens Landesvorsitzende Astrid Rothe. Mit dem Ergebnis der nächtlichen Krisenrunde war sie allerdings zufrieden: Am nächsten Morgen stimmte auch die Parteispitze für den Antrag. Nur Reinhard Bütikofer beteiligte sich nicht an der Abstimmung.