Eine Überraschung aus Hilflosigkeit

Unerwartet verkündeten die EU-Regierungschefs in Göteborg das Jahr 2004 als Erweiterungstermin

GÖTEBORG taz ■ Göran Persson konnte nicht verbergen, dass er eine schwere Nacht hinter sich hatte: Der Streit um die EU-Erweiterung, die nun für 2004 anvisiert wird, und dann auch noch die Kritik der anderen 14 Regierungschefs an der Defensivstrategie der schwedischen Polizei waren am schwedischen Premier nicht spurlos vorübergegangen. Und so fehlten ihm auf die Frage, welche Auswirkungen die Krawalle für die Popularität der EU in Schweden haben werde, ganz einfach die Worte. Er hoffe, so der Premier schließlich, dass sie nicht geringer werde.

Bloß kein Krawallgipfel sein

Hatten die Politiker sich in letzter Minute also doch noch auf ein positives Signal an die Beitrittskandidaten geeinigt, um Göteborg nicht als Krawall-, sondern als Erweiterungsgipfel in die EU-Geschichte eingehen zu lassen? Bevor das ganze Ausmaß der Demonstrationen bekannt geworden war, hatten Deutsche und Franzosen schließlich wiederholt erklärt, dass keine Daten genannt werden sollten. Warum also die abrupte Wende, die auch deutsche Delegierte nicht plausibel erklären konnten?

Sicher scheint so viel: Bei intensiven Gesprächen zwischen Persson und Bundeskanzler Schröder am Freitagabend und Samstagmorgen soll es dem Schweden gelungen sein, den Deutschen zu einem Satz zu überreden, der zuvor nicht im Abschlussdokument stand. Neben der Formulierung, dass die Verhandlungen mit den Ländern, die „ausreichend für den Beitritt vorbereitet sind, bis Ende 2002 abgeschlossen werden können“, heißt es nun: „Ziel ist, dass sie als Mitglieder an den Wahlen zum Europäischen Parlament 2004 teilnehmen können.“ Es werden also auch weiterhin den einzelnen Kandidaten, wie von diesen gewünscht, keine eigenen Beitrittsdaten genannt. Der Beschluss des EU-Gipfels von Nizza über die Beteiligung bei den EP-Wahlen ist jedoch nun konkretisiert. Ein Kompromiss, den Tschechiens Vizeaußenminister Telicka gegenüber der taz als „wahrscheinliche Folge des irischen Neins zum Erweiterungsvertrag von Nizza“ bezeichnete. Nach dem Referendum sei ein positives Signal notwendig gewesen.

Eine „offene“ Formulierung

Er habe nicht als „Einziger“ das ehrgeizige Ziel der Schweden behindern wollen, so begründete Gerhard Schröder am Samstag sein Einlenken. Außerdem sei die jetzt gefundene Formulierung sehr „offen“, die zukünftige Bewertung der Beitrittsreife hänge weiterhin allein von den Fortschritten der einzelnen Kandidaten ab. Deutschland hatte konkrete Aufnahmedaten für einzelne Länder stets mit der Begründung abgelehnt, dass diese ein solches Datum als Freibrief verstehen und ihre Bemühungen um Reformen einstellen könnten. Dass man in Berlin von den Leistungen Polens nicht begeistert ist, wurde am Rande des Gipfels immer wieder deutlich. Deutschlands östlicher Nachbar liegt bei den Verhandlungen inzwischen weit hinter Ungarn, und auch Prag hat Warschau inzwischen überholt.

Polen, selbstsicheres Schlusslicht

Da die ernsthafte Debatte über die Reform der EU-Landwirtschaftspolitik aber erst nach den Wahlen beim größten Agrar-Subventionsempfänger Frankreich, also in der 2. Hälfte des Jahres 2002 beginnen soll, ist es nahezu ausgeschlossen, dass Polen bis Ende 2002 diesen sensiblen Bereich abschließen kann. Ein Beitritt bis 2004 wäre dann nicht möglich.

Die polnische Regierung reagierte auf die Berliner Kritik selbstbewusst. Es gehe nicht allein um die Zahl der geschlossenen Kapitel, sondern um die Qualität der Verhandlungsergebnisse. Für Polen sei dieses ganze Wochenende ein voller Erfolg, sagte Premier Buzek in Göteborg. Zuerst die europapolitische Grundsatzrede von US-Präsident Bush in Warschau und dann die Nennung des EU-Beitrittsdatums. Vielleicht war jedoch gerade Bushs Ankündigung der Nato-Erweiterung ein zusätzlicher Grund für die Göteborger Einigung. Sonst hätte der Amerikaner den Europäern die Show gestohlen. SABINE HERRE