Die Grünen in Angst vor dem Pop-Politiker

Die Kandidatur Gregor Gysis (PDS) bringt die Berliner Grünen in Gefahr: Leicht könnten sie zwischen SPD und PDS zerrieben werden

BERLIN taz ■ Was macht Fritz Kuhn an diesem bewegten Wochenende im Abgeordnetenhaus zu Berlin? Kuhn steht in einem hohen Saal im dritten Stock des Berliner Parlaments und wettert gegen Landowsky und Diepgen, gegen den schwarzen Filz und die rote Schützenhilfe, die die SPD der CDU so lange gewährte. Tagelang hat sich der grüne Landesverband gegen einen Spitzenkandidaten aus der Bundespartei gewehrt. Tritt jetzt der Grünen-Chef etwa persönlich an?

Natürlich nicht. Zufall ist es, dass sich die Delegierten des kleinen Parteitags der Grünen ausgerechnet hier einquartiert haben. Auf den Machtwechsel geht Kuhn in seiner Rede trotzdem mit Begeisterung ein: „Mit dem Berliner Wahlkampf ist der Bundestagswahlkampf 2002 eröffnet – und entsprechend sollten wir uns verhalten.“

Der Parteitag geht am Samstag zu Ende, als Klaus Wowereit gerade gewählt wird. Ob Gysi antritt, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand, doch eindeutig ist im Gespräch mit grünen Spitzenpolitikern zu spüren: Der Gysi geht um. Gysi ist ein beträchtlicher Angstfaktor, denn er macht das Rennen unkalkulierbar für die Grünen. Zwischen einer SPD im Aufwind und einer PDS mit Gysi-Appeal könnten die Grünen schnell zerrieben werden. Auch die Grünen hätten ja eine überregionale Kandidatin, macht sich die Fraktionschefin im Bundestag, Kerstin Müller, Mut: Adrienne Goehler, die neue Kultursenatorin aus Hamburg. Tatsächlich ist die Frau in der Stadt weitgehend unbekannt – und gegen das Angebot der Bundespartei, mit Prominenz auf der Landesliste auszuhelfen, hat sich der Berliner Landesverband ebenso heftig wie erfolgreich gewehrt. Dass Exgesundheitsministerin Andrea Fischer, die aus Berlin kommt, aus persönlichen Gründen abgesagt hat, nennt ein Spitzengrüner immer noch „sehr, sehr schade“. Cem Özdemir, sinniert ein anderer, hätte als Deutschtürke sogar dem schwierigen Berliner Thema Ost-West eine andere Dimension gegeben. In Konkurrenz zu einem Gysi, dem selbst stilisierten Ost-West-Politiker, hätten die Grünen sich den Wählern als Metropolenpartei empfehlen können, der der deutsch-deutsche Streit vergangener Jahre zu kleinkariert scheint.

Immerhin, die grünen Wahlkampfrezepte scheinen wie auf Gysi zugeschnitten. „Wir werden, anders als in der Vergangenheit, Wahlkampf mit ganz einfachen Botschaften führen“, kündigt Kuhn an. Seiner Landespartei empfiehlt der Bundesvorsitzende, auf Abgrenzung zu ihren möglichen Partnern in einem künftigen Senat zu setzen: „Wir führen keinen Koalitionswahlkampf nach dem Motto ‚Rot-Rot-Grün ist die Rettung für Berlin‘!“ Die Linie steht offenbar schon fest: „Die SPD hat nichts gemerkt“ von der Berliner Bankenkrise, und „der PDS traut man die Konsolidierung des Haushalts nicht zu“, sagt Kuhn. Wahlziel sei in jedem Fall, „dass wir es auch ohne die PDS in Berlin schaffen können“. In Berlin hat Kuhn schon mal Slogans getestet: „Sparpolitik darf man nicht ohne Visionen machen – die Leute müssen das Licht am Ende des Tunnels sehen“, ruft er im Abgeordnetenhaus. Doch die Aussage zeigt schon, wie schwer es den Grünen fallen dürfte, sich den Wählern als unverzichtbar zu präsentieren: Auch Gregor Gysi preist sich den Wählern als Sanierer mit Herz an. PATRIK SCHWARZ