Der alte Lotse kehrt nicht mehr zurück

Nicht Wolfgang Schäuble hat die volle Unterstützung der Berliner CDU bekommen – sondern der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Steffel

BERLIN taz ■ Schon ganz früh an diesem Sonntag, der über sein weiteres Leben so maßgeblich entscheiden wird, meldet Wolfgang Schäuble sich zu Wort. Er spricht im Deutschlandfunk, wie Politiker das gerne tun, wenn sie zur Diskussion über den Länderfinanzausgleich ein Wörtchen beisteuern wollen. Wolfgang Schäuble spricht über „Casablanca“ mit Humphrey Bogart. Nicht die einzige Überraschung des Tages.

Merkel will Schäuble. Schäuble wird‘s, Schäuble wird’s nicht. Steffel wird’s. So lauten die Nachrichten an diesem Sonntag, an dem die CDU tagt und tagt, um einen Spitzenkandidaten für das Spitzenrennen vor der nächsten Bundestagswahl zu küren. Gut war das Verhältnis zwischen Berliner Landes-CDU und Bundes-CDU noch nie, aber in dieser Frage sind sie schier untrennbar miteinander verbunden, und eine Entscheidung gegen den Willen der einen kostet die andere Wohl und Wehe.

Bis in die Nacht zum Sonntag hinein soll Merkel in der Landes-CDU für Schäuble geworben haben. Eberhard Diepgen, der Abgewählte, soll als Erster gemerkt haben, dass das Echo auf den Bundespolitiker im Landesverband für einen überzeugenden Wahlkampf nicht reichte. Schäuble soll hundertprozentige Unterstützung der Landes-CDU gefordert, aber nicht erhalten haben. Als Frank Steffel schließlich vor die Kameras geht, erzählt er, drei Stunden habe er noch am Sonntagvormittag mit Schäuble gesprochen. Am Ende hat der Veteran den Neueinsteiger gebeten, im Berliner Wahlkampf anzutreten.

Der robuste 35-jährige Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus steht für einen Wahlkampf mit Beschimpfungen aus der Zeit des Kalten Krieges. Angela Merkel, die Parteichefin, sieht den Lagerwahlkampf mit gemischten Gefühlen. Sie will bei der Bundestagswahl 2002 der SPD die Stimmen der Mitte abjagen. Nur Schäuble hätte wohl die persönliche Integrität wie die politische Härte gehabt, die Sozialdemokraten wegen ihrer Kooperation mit der PDS anzugehen, ohne dass die Christdemokraten als Extremisten dastehen.

Ein anderer bundesweit bekannter Politiker hat seine Kandidatur erklärt. Mit Gregor Gysi hat Wolfgang Schäuble immer gerne disputiert. Das Duell um die Hauptstadt hat ihn mit Sicherheit gereizt – oder fürchtete er, auf verlorenem Posten zu kämpfen?

Gefühle zu zeigen fällt Wolfgang Schäuble schwer. An diesem Sonntag sagt er: „Wenn man nahe genug am Wasser gebaut hätte, könnte man ganze Packungen Taschentücher verweinen.“ Er meint „Casablanca“. PATRIK SCHWARZ