bernhard pötter über Kinder
: Mein Kind N. N.

Sie suchen einen Namen für Ihr Baby? Das ist schwierig – und fragen Sie bloß kein Geschwisterkind um Rat

„Was hältst du von Svante?“ Klingt nicht schlecht.

„Oder Rosanna? Oder Smila?“ Auch ganz gut.

„Svante ist ein Esstisch mit melaminbeschichteter Platte und Beinen aus Birkenschichtholz. Rosanna ist eine Badematte und Smila eine Wandleuchte.“ Tja. Dann vielleicht doch nicht.

Wir suchen einen Namen für unser Kind. Anna liegt auf dem Sofa und liest den Ikea-Katalog. Ich blättere in der Bibel. So ist das bei uns.

Hier: Ismael. Das klingt doch gut. „Hmmmm“, brummt Anna.

Ahab ist eigentlich auch schön. „Spinnst du eigentlich?“, sagt meine Frau. „Ismael und Ahab, warum nicht gleich Moby und Dick?“

Da ist es wieder, das Problem. Grübeln Sie über einen Namen für Ihr Kind, und plötzlich hämmern vier Generationen von Vorfahren, die internationalen Literatur-, Film- und Popgeschichte plus zweitausend Jahre Christentum, sechstausend Jahre Judentum und vierzehnhundert Jahre Islam an Ihre Tür. Natürlich kann man ein Kind nicht Adolf nennen, auch wenn der Urgroßvater so hieß. Benjamin und Frieda kommen nicht in Frage, weil wir doofe Verwandte haben, die so heißen. Dann klaut uns auch noch die Werbung Vorschläge für gute Namen: Rafael? Klingt nach Schokoriegel. Ariel? Ist „nicht sauber, sondern rein“.

Wenn Unternehmen fusionieren, beschäftigen sie für viel Geld Branding-Agenturen, die ihnen Kunstnamen wie Aventis, Eon oder Ver.di verkaufen. Wir dagegen stehen allein gegen den Rest der Welt und so genannte Freunde, die uns für ihren Nachwuchs all die wohl klingenden, bedeutungsvollen und leicht verständlichen Namen vor der Nase wegschnappen. Überhaupt ist es viel einfacher, Namen zu finden, die man nicht vergeben kann. Ein Blick ins „Duden Lexikon der Vornamen“ führt zu Luitberga, Gunthart, Caritas, Rodegang oder Wunibald.

Auch bei Luzifer runzelt der Standesbeamte die Stirn. Denn der Staat redet schon ein Wörtchen mit, wenn wir unsere Kinder mit einem Etikett versehen, das lebenslang an ihnen kleben wird. Der Vorname muss klar machen, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Außerdem darf der Name „nicht gegen die Gebräuche und Sitten“ verstoßen und das Kind ewigen Hänseleien aussetzen. Pumuckl war lange umstritten. Gegen Winnetou ist nichts einzuwenden.

Ein guter Rat: Fragen Sie niemals Ihr erstes Kind, wie das zweite heißen soll. „Otto!“, sagt mein Sohn Jonas.

Aber wenn Mama und Papa einen anderen Namen schöner finden? „Otto!!“

Aber wenn es nun ein Mädchen wird? „Otto!!!“

Meine Frau ist schlau. Für Jonas kaufen wir eine Babypuppe. Die kann er dann nennen, wie er will.

„Die Leute kommen auf immer verrücktere Namen“, sagt meine Chefin Bascha Mika. Sie muss das gerade sagen. Bascha ist jedenfalls in meiner Bibel der „König von Israel, der gegen Juda zog“. Und nicht taz-Chefredakteurin.

Anderswo ist man bei der Auswahl nicht so pingelig. Bill Clinton durfte seine einzige bislang bekannte Tochter nach dem Londoner Stadtteil Chelsea nennen. Hätte Gerhard Schröder eine leibliche Tochter, könnte er sie nach dieser Logik auf Dienstreisen mitnehmen und in Kathmandu mit „Please meet my daughter Langenhagen“ vorstellen. Das würde da sicher niemanden wundern. Die Bewohner von Hannover-Langenhagen dagegen schon.

Die „verrückten Namen“ haben jedenfalls einen großen Vorteil. Es heißen nicht mehr alle entweder Andreas oder Gabi wie zu meiner Jugendzeit. Und Tassilo, Amandus oder Philomena wirken nur beim ersten und zweiten Hören seltsam. Schnell gewöhnt man sich daran, dass auch eine Cosima voll gekackte Windeln hat. „Verrückte Namen“ sind Alltag in einer multikulturellen Gesellschaft. Jonas lernt schon im Kindergarten, dass Aykut, Nesrin, Cansel und Gülfi ganz normale Namen sind. Das haben die Standesämter zumindest in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln auch schon lange begriffen. Sie akzeptieren Namen, wenn die Eltern irgendwie nachweisen können, woher der Begriff stammt und dass er eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen ist – wenn auch nicht von den deutschen Beamten, die den Namen im Zweifel noch nie gehört haben. Ein bisschen Leitkultur muss aber trotzdem sein. Denn bis an die deutschen Taufbecken haben sich die türkischen Namen noch nicht vorgewagt. Westeuropäische Namen wie Kevin oder Jacqueline sind gang und gäbe und pirschen sich manchmal sogar an die Top-Ten-Liste der Lieblingsnamen heran. Aber wer nennt sein Kind schon Mehmet?

Höchstens Frau Scholl. Die hat damit Stil bewiesen. Sie hätte auch ganz andere Ideen haben können, um die Karriere ihres Sohnes zu fördern. Schließlich fallen unter die „anstößigen oder belastenden Namen“, die der Standesbeamte laut Infobroschüre nicht akzeptiert, „Judas“, aber auch „FC Bayern“. Bernhard Pötter

Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de