Bewährungsprobe in Schanghai

von PHILIPP GESSLER

Zwischen den Reisfeldern am Internationalen Flughafen Schanghai wird deutsche Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Die 16 Meter langen Pfeiler, die hier in den Boden gerammt werden, sollen bald die bislang einzige Transrapid-Strecke tragen, die nicht nur Testzwecken dient: Seit dem 1. März dieses Jahres wird in China für 2,5 Milliarden Mark die Magnetschwebebahn gebaut, die in Deutschland zwischen Berlin und Hamburg wegen zu hoher Kosten und zu schlechter Fahrgastprognosen gescheitert war.

„Maglev“ (nach „magnetic levitation“) heißt der Zug in China. Die etwa 30 Kilometer vom Flughafen in die City von Schanghai sind entscheidend für die Zukunft dieser nun schon 25 Jahre alten Transporttechnik. Wenn sie sich hier so bewährt wie erhofft, sind die Chancen gut, dass das Transrapidsystem auch für die Strecke Schanghai–Peking genutzt wird – die Investitionen werden auf 50 Milliarden Mark geschätzt. Das wäre der eigentliche Durchbruch für diese Technik, die in Deutschland schon als tot galt.

Chinas Premier Zhu Rongji glaubt offensichtlich an ein Weiterleben nach dem Tod. Nach einem Treffen mit Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig in Peking Ende Mai wertete der SPD-Politiker die Aussagen des Ministerpräsidenten als Vorentscheidung für den Bau der Magnetschwebebahn zwischen Peking und Schanghai. Denn die Zusage des Premiers sei nur an „erfüllbare Bedingungen geknüpft“ wie etwa Erdbebenschutz und garantierte Sicherheit bei möglichen Begegnungen zweier Züge im Tunnel bei 500 Stundenkilometern. Der Beschluss für eine Machbarkeitsstudie zur Peking-Strecke wird von deutscher Seite als Meilenstein gefeiert.

Hilfe von Minister Eichel

Doch der Weg bis zu einer endgültigen Entscheidung wird holperiger als eine Transrapidfahrt. Der deutsche Finanzminister Hans Eichel (SPD) musste den Chinesen schon die Flughafenstrecke mit einer Fördersumme von 200 Millionen Mark schmackhaft machen. Hinzu kamen Hermes-Kreditbürgschaften in Höhe von 1,3 Milliarden Mark, die das Geschäft absichern. Sollte die Strecke Schanghai–Peking gebaut werden, erwartet Peking offensichtlich noch einmal eine Finanzspritze – Eichel hat umfangreiche Hilfe angeboten.

Und auch innenpolitisch könnte es Probleme geben: Schon für den Bau des Transrapids in Schanghai mussten massive Abriss- und Umsiedlungsprogramme durchgesetzt werden. Etwa 500 Familien, an die 5.000 Menschen, mussten umziehen. Allerdings wurden in Schanghais Boomviertel Pudong in den vergangenen zehn Jahren nach Angaben der Stadtverwaltung 150.000 Menschen umgesiedelt – Lokaljournalisten sprechen gar von über einer Million. Schon jetzt ragen 300 Wolkenkratzer in den Himmel über Pudong.

Gegen diese Stadtentwicklung mit der Brechstange gibt es bereits Proteste. An einem älteren Gebäudekomplex hängen Plakate: „Gebt uns unsere Grünanlagen zurück!“, „Wir wollen keine große Planung“ und „Der Verkauf der Wohnungen ist Betrug“ steht auf ihnen. Zumindest auf lokaler Ebene duldet der autoritäre Staat solche nicht grundsätzlichen Nörgeleien bereits.

Bei der Umsiedlungsaktion für den Transrapid aber gab es sie kaum. David Zhang, der für das Transrapid-Konsortium arbeitet, gibt dafür eine Erklärung, die an deutsche Erfahrungen mit der Popularität von Plattenbauten zu DDR-Zeiten erinnert: Die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen wolle umgesiedelt werden, manche hätten gar dafür demonstriert, da sie in moderne Wohnungen kommen wollten. Die Umgesiedelten hätten eine ordentliche Entschädigung bekommen von umgerechnet an die 25.000 Mark pro Familie: „It’s as easy as this“, ruft David und schnipst mit den Fingern. Tatsächlich ist der Fortschrittsoptimismus in Chinas Schaufenster Pudong enorm – und der Transrapid ist zum Symbol dafür geworden. Schon jetzt wirbt die Bezirksverwaltung in Hochglanzbroschüren mit dem Transrapid.

An diesem politischen Rückenwind liegt es auch, dass Bruno Jordans so euphorisch ist. Der Schanghai-Chef von Transrapid International erzählt begeistert von der raschen Entscheidungsfolge für die Magnetschwebebahn: Am 23. Januar wurde der Vertrag unterschrieben, am 15. Februar bekam er das Okay von der zentralen Planungsbehörde – und schon am 1. März begannen die Arbeiten. Die Fertigungshalle für die Streckenträger liegt an der Autobahn, die zum Flughafen führt und an der entlang auch der Transrapid die meiste Zeit gleiten wird. Das Fabrikgelände ist 1,8 Kilometer lang – gut vorstellbar, dass hier nicht nur für die Strecke zum Flughafen produziert werden soll. Denn der Transrapid könnte zum Vorläufer vieler Hochgeschwindigkeitsstrecken Chinas werden (s. Kasten). Peking ist klar, dass das 1,3-Milliarden-Volk seine Transportprobleme mit dem Flugverkehr nicht meistern kann – zu viele Flugbewegungen wären nötig.

Allerdings steht das ganze Projekt unter großem Zeitdruck: So soll der normale Fahrbetrieb mit Passagieren für die Flughafenstrecke in Schanghai erst im Januar 2004 aufgenommen werden. Schon 2003 aber, wenn der neue Fünfjahresplan verabschiedet wird, müsste die Entscheidung über die Strecke Schanghai–Peking fallen. Deshalb ist die erste Fahrt des Transrapids nur für die Entscheidungsträger, die „VIP“-Fahrt, so wichtig: Hier muss man einen guten Eindruck machen. Ministerpräsident Zhu Rongji drängt, um das Projekt zu retten, deshalb auf einen schnellen Beschluss. Ende Mai erklärte er: „Wenn der Test, die Demonstration in Schanghai ein Erfolg wird, dann werden wir früher als geplant die 1.250 Kilometer lange Magnetbahnstrecke zwischen Schanghai und Peking bauen.“

Eine leichte Entscheidung wird das für die Pekinger Führer nicht. Immerhin müsste man eine kühne Brücke über den breiten Jangtse schlagen. Und können die Entscheider dermaßen früh einen Beschluss fassen, das ganze Hochgeschwindigkeitszugnetz in der Transrapidtechnik zu bauen?

Magnet für Touristen

Hinzu kommen ganz konkrete Probleme der Strecke in Schanghai: Ist der Fahrpreis von voraussichtlich 50 Yuan, umgerechnet rund 15 Mark, bei 500 Mark Durchschnittsverdienst nicht viel zu teuer, als dass die 10 Millionen Passagiere, mit denen die Planer im ersten Jahr rechnen, ihn sich leisten könnten? Gibt es noch Probleme mit dem Boden, der hier im Schwemmland des Jangtse „wenig verdichtet“ ist, wie Jordans zugibt? Reicht den Kunden das Angebot des Transrapid? Schließlich muss man nach sieben Minuten im Maglev noch in die U-Bahn steigen, bis man nach etwa 20 Minuten wirklich im Zentrum ist.

Schanghais Bürgermeister Xu Kuangdi bereiten diese Bedenken keine ernsthaften Sorgen. Dass der Transrapid in Schanghai selbst ein Erfolg wird, daran scheint er keine Zweifel zu haben: Schließlich strömten ja auch Millionen zum Fernsehturm, der auch 50 Yuan Eintritt koste. Verkäme der Transrapid im Zweifelsfall zu einem Touristenziel? „Die Schanghaier sind neugierig“, sagt Xu. Und lächelt.