Keine Zeit mehr für Argentinien

■ Emigration im Nationalsozialismus: Premiere der beiden Dokumentationen Zech – Aufzeichnungen eines Emigranten und Fluchtpunkt Argentinien im Metropolis

„Wir sprechen nun einmal Deutsch. Diese Sprache haben wir mitgenommen, aber jeder Baum heißt hier anders ... Der Schreibende scheint nun, will er wirken, jedes Wort auswechseln zu müssen“, so beschrieb Ernst Bloch 1939 in New York die Situation emigrierter Schriftsteller. Paul Zech lebte zu dieser Zeit bereits seit sechs Jahren in Argentinien. Deutsche Intellektuelle waren in alle Welt verstreut, und bis auf wenige Ausnahmen hatten sie mit der Heimat auch ihre Leser verloren. In den beiden Filmen Zech – Aufzeichnungen eines Emigranten und Fluchtpunkt Argentinien haben sich die Regiesseure Véronique Friedmann und Rolf Blank dieses Exils angenommen.

Der erste Film befasst sich mit dem Schicksal des Schriftstellers Paul Zech, der in Deutschland anerkannt und „in Buenos Aires ein Niemand war“. Die Dokumenta-tion zeigt Aufnahmen des modernen Buenos Aires. Ein Erzähler liest Ausschnitte aus dem autobiografischen Roman Michael M. irrt durch Buenos Aires und Auszüge des Briefwechsels zwischen Paul Zech und seinem Freund Stefan Zweig. Eine subjektive Kamera führt in die Straßen, durch die der Schriftsteller damals geirrt sein muss. Manchmal bleibt ihr Blick hängen, bei Domino spielenden Rentnern oder bei Paaren, die Tango tanzen.

Zech ist seit seiner Emigration alles andere als gesund. Die Nachricht, dass seine Frau in Berlin bleibt, weil es in Buenos Aires für sie keine gesicherte Existenz gibt, löst bei ihm eine Herzattacke aus. Die Bilder eines einfachen, fast schäbigen Hotelzimmers zeigen die Trostlosigkeit seines Alltags. Ein klappriger Ventilator steht auf seinem Schreibtisch. So ziellos, wie dieser sich dreht, lässt sich Zech durch die Straßen der Großstadt treiben. Die assoziativen Bilder entfalten sich allerdings nur in Kombination mit Ausschnitten des Romans oder der Briefe. Bei biogafischen und geschichtlichen Informationen wirken die Panoramabilder der Stadt beliebig. Die Dokumentation endet mit dem Tod des Schriftstellers 1946.

Fluchtpunkt Argentinien – Aufzeichnungen: 8 Emigranten folgt den unterschiedlichen Wegen ins Exil. In einer Parallelmontage erzählen acht jüdische Emigranten über Formen von Diskriminierung und ihre Flucht vor den Nationalsozialisten. In den gelungenen Passagen des Films ergänzen sich ihre Erzählungen, brechen ab, wenn es spannend wird und ein anderer nimmt den Faden wieder auf. Im Stil von Eberhard Fechners Comedian Harmonists möchten die Regiesseure Spannung erzeugen ohne große Bilder, nur durch die Erzählungen ihrer Protagonisten. Aber gerade im Vergleich zum Vorbild wirkt dieser Film oft nur wie solides Handwerk.

„Jeder Mensch hat eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden“, war der Grundsatz Fechners. Hier wird man das Gefühl nicht los, alle diese Geschichten schon einmal gehört zu haben. Die Figuren bewegen mit ihren Geschichten weit weniger als die Bruchstücke aus Zechs Autobiografie. Am Ende der Dokumenta-tion beschleunigt sich das Tempo, gerade so, als habe der Film schnell zu einem Ende gebracht werden sollen. Friedmann und Blank halten sich zu lange an der Flucht aus Deutschland auf, für eine Darstellung des argentinischen Exils haben sie sich keine Zeit mehr gelassen. Michaela Soyer

Do, 21.15 Uhr, Metropolis