Kosmopolitisches aus Italien

Freitag startet das 4. Festival des Neuen Italienischen Films im Zeise  ■ Von Jakob Hesler

Der Begriff der Nation sei heutzutage obsolet geworden, so sagt man. Ansichtssache. Die Filmnationen halten jedenfalls unverdrossen ihre Olympiaden in Cannes, Venedig und Berlin ab. Obwohl die prämierten Werke ins nationale Schema meist gar nicht passen (Intimacy, Die Klavierspielerin), feiert die Fiktion der Kulturnation Urständ: als Standortfaktor. Das nötige Selbstbewusstsein zieht sie dabei, so ist das mit Nationen, aus der Geschichte. Das war im darbenden Filmland Italien kaum anders als in Deutschland. Wenn Scorsese als erfolgreicher Onkel aus Amerika mit seiner Dokumentation My Italian Journey in Cannes der glorreichen Vergangenheit seinen Tribut zollt, dann legt er damit womöglich bloß einen Finger auf die Wunde.

Aber wenn dort zugleich Nanni Moretti mit La stanza del figlio die Goldene Palme gewinnt, sieht Italien nach Das Leben ist schön und Brot und Tulpen nun endlich den ersehnten Kino-Frühling anbrechen. Das Festival in den Zeise-Kinos will das dokumentieren – in Kooperation mit dem Istituto Italiano di Cultura. Erfreulich, dass die Anwälte der Kulturnation dabei mit Le fate ignoranti (Die Ahnungslosen) einen ausgesprochen kosmopolitischen Eröff-nungsfilm ausgewählt haben: Kultur lebt eben von der Öffnung hin zu anderen Kulturen. Regisseur Ferzan Ozpetek (Hamam, das türkische Bad) ist gebürtiger Türke, der Film eine französisch-italienische Koproduktion.

Die zwei „Kulturen“, die sich darin begegnen, haben allerdings mit nationalen Grenzen gar nichts zu tun. Die Ärztin Antonia entdeckt nach dem Tod ihres Mannes, dass er eine langjährige Affäre hatte. Mit einem Mann. Michele lebt in einer bunten WG von Künstlern und Transsexuellen: Diese Welt unterscheidet sich von Antonias großbürgerlichem Zuhause wie der Tag von der Nacht. Die beiden gewinnen nun langsam Vertrauen zueinander und machen gemeinsame Sache in Trauerarbeit. Für Antonia (Margherita Buy) der Anstoß zu einer Reflexion auf ihr bisheriges Leben und dessen Unterlassungen. Ihre großen Augen richten sich auf die Zukunft, und der schwule Michele (Stefano Accorsi) verliebt sich sogar in sie. „Alles über unseren Geliebten“ sozusagen, an Almodovar darf gedacht werden. Leider sichert Ozpetek seine Geschichte dramaturgisch allzu schematisch ab. Fast alle Wendungen des Films werden in symbolischen Parallelhandlungen verüberdeutlicht. Jedenfalls bleibt abzuwarten, ob schwule Sujets auch unter Berlusconi das ministerielle Prädikat „kulturell wertvoll“ bekommen werden.

Die Globalisierung war eigentlich schon vor 300 Jahren Tatsache. Zumindest für den Adel. In Rosa e Cornelia soll die junge Cornelia gewinnbringend mit einem französischen Haus verheiratet werden. Leider hat sie sich auf dem Karneval von einem Unbekannten schwängern lassen und wird deshalb von der Familie bis zur Hochzeit in einem Landhaus versteckt. Ihre Dienerin ist ebenfalls schwanger; sie soll nach der Geburt den „Bastard“ umbringen. Aber natürlich freunden sie sich die Gleichaltrigen an. Ein konventionelles Kammerspiel über Frausein und Schwangerschaft, über die Kapitalisierung der Reproduktion – der Ausweg ist, wie so oft, ein heroisches Opfer.

Spannender ist da Metronotte (Der Nachtwächter) von Francesco Calogero. Und zwar nicht wegen des Krimiplots, den der Film über weite Strecken souverän links liegen lässt. Blass-dunkle Bilder zeigen die nächtliche Arbeit von Security-Leuten. Sie schlagen sich mit Müdigkeit, Langeweile und ihren Zipperlein herum. Und Nachtwächter Paolo außerdem mit einem Mordverdacht. Als er wie immer nach der Schicht am Haus seiner Angehimmelten vorbeischaut, findet er einen erschossenen Kollegen. Dass dahinter eine Intrige steckt, ist uns schneller klar als diesem einfachen, aber aufrechten Mann. Zwischen den Verwicklungen um die russische Immigrantin Nadia und die korrupte Security-Agentur versucht er nun unbeholfen, sein tristes Leben zu ändern.

Calogero erzählt das mit subtiler Ambivalenz, die auch dem beschwichtigenden Ende noch eine traurige Note verleiht. Eine Schwalbe allein macht noch keinen Kinofrühling? Aber sie ist immerhin eine Schwalbe. In Metronotte hat das Publikum außerhalb Italiens übrigens einen Vorteil. Dass Paolo mit dem dort überpräsenten Star Diego Abatantuono besetzt ist, stellt einen Haupteinwand der einheimischen Kritiker dar. Diese „abatantuonizzazione“ dürfte hierzulande kaum stören.

Eröffnung mit Le fate ignoranti: Fr, 20 Uhr (läuft auch Di, 17.30 Uhr) Metronotte: Sa, 20 Uhr, Di, 22.30 Uhr + 1.7., 22.30 Uhr; Rosa e Cornelia: Di, 20 Uhr + 28.6., 22.30 Uhr, weitere Filme siehe Programm, alle Zeise