Immer nur Leere...

...und im Garten Eden ist es wahrscheinlich auch nicht anders: Tomàs Aragays Performance Paradise auf Kampnagel  ■ Von Annette Stiekele

Eine vertraute Szenerie. Ein cool erleuchteter Großstadtclub, fünf junge Menschen verloren im Raum auf der Suche nach etwas Unbestimmtem. Sie haben einen Tag, eine Woche hinter sich mit Arbeiten, vielleicht noch Glotze und anschließend Schlafen. Ein karges, trauriges Leben.

Eine Frau sitzt verloren auf einem Stuhl, nippt an ihrem Drink und schaut fragend, suchend in die Runde. Von allen Bühnen dieser Welt schreit sie herab, die Verlorenheit des Einzelnen in der Großstadt, das Gefühl, ein Nichts zu sein, niemanden zu interessieren, denn es gibt ja so viele hier. Der Drang, diesem Gefühl zu entrinnen ist groß, die Hoffnung, doch noch etwas Außerordentliches zu erfahren, einen Menschen zu treffen, vielleicht.

Für Tomàs Aragay ist das gleichbedeutend damit, das Paradies zu erleben. Paradise nennt der junge spanische Choreograf sein neues Projekt, das er in Zusammenarbeit mit seinem 1996 gegründeten Künstlerkollektiv General Elèctrica auf Kampnagel als Gastspiel im Rahmen des Junge-Hunde-Festivals vorstellt.

Der in Barcelona ausgebildete Schauspieler und Dramaturg Aragay hat für seine Arbeiten und freien Projekte zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten. Für seine schauspielerischen Leis-tungen bekam er 1996/97 den Premi Especial de la Crítíca für Una història d'amor, 10.000 kg und 1997/98 den Premi de la Crítíca für Polar. Für seine eigene Produktion Cruza cuando el hombrecito esté en verde von 1997 erhielt er den Premier Prix de Choréographie du XI Certamen Coreográfico de Madrid, für John Kovach state of emergency den Prix d'Auteur des Rencontres Choréographiques de Seine-Saint-Denis.

Sein neues Stück Paradise lebt von dem Glauben daran, dass der Einzelne doch noch etwas verändern kann, nicht dazu verdammt bleibt, ein beliebiges Etwas darzustellen. Und so teilen die fünf Menschen, drei Frauen und zwei Männer, den Wunsch, Aufmerksamkeit und Zuspruch zu erlangen und jemanden für sich zu gewinnen. Sie stolpern durch das kühle Lounge-Ambiente voll trauriger Pop-Melodien, Nick Caves Into my arms tönt aus dem Lautsprecher. Sie sitzen und rauchen und trinken und schauen sich um und sitzen und rauchen.

Manchmal treten sie vor, ziehen sich aus oder singen ins Mikrophon. Einmal nur ein Star sein, im Mittelpunkt stehen, die Blicke der anderen auf sich ziehen. Dann wieder verkleiden sie sich, setzen Perücken auf, schlüpfen in andere Rollen, um ihrem Ich zu entkommen. Eine Frau geht fast schüchtern in den Raum. Schnell kleben ihr zwei Männer am Hals. Einer genügt, und ihr Abend ist gerettet. Die Leere des Seins, die schreckliche Unausgefülltheit scheint für einen Augenblick überwunden. Eine andere, sehr sexy gekleidete Frau räkelt sich im Pelzmantel auf einem Podest und genießt ihren Auftritt. Eine weitere Frau entledigt sich Rock und Bluse. Zum Vorschein kommt ein durchtrainierter, muskulöser Body. Sie posiert, wirft sich auf einen Mann, zwingt ihn in die hergebrachte Frauenrolle. Die Geschlechterbarrieren verschwimmen, und auf den Balzplätzen herrscht vor allem Verwirrung.

Nicht ohne Humor hat der Regisseur den Tanzenden, Idurre Azkue, Sofìa Ascenciora, Iva Horvat, Xavi Sabata und Ferran Carvajal bestimmte Typen auf den Leib geschrieben, die Harte, die Sanftfühlende, der Beau und das Kraftpaket. Typen eines Panoptikums, wie sie eben in fast jedem Großstadtclub zu finden sind. Aragay stellt Gefühle ins Zentrum, für ihn sind sie die einzige Wahrheit auf der Bühne. Er spielt ein Spiel. Seine Wirklichkeit ist eine der Zeichen durch Bewegung und auch der Nicht-Bewegung. Das Gegenteil der Bewegung sagt ihm ebenso viel über eine Situation aus. Wichtig ist, immer bis zum Ende einer Sache zu gehen, um ihre Komplexität zu verstehen.

Seltsam anrührend bleiben die Figuren seiner Darsteller. Da, wo sie sich verbinden, möchte man sich mit ihnen freuen, wo sie sich entziehen, der eine den anderen plötzlich zu Boden fallen lässt, ist raue Gewalt zu fühlen. Sie ist unerbittlich, und nur die Schönsten kommen durch. Und wo bleiben die anderen? Einer betrinkt sich und nicht alle werden nach dieser Nacht in die Kissen sinken, aber das ist eben so, in der Großstadt. Und das Paradies bleibt ein Wunschtraum.

Vorstellungen: 21.+22.6., 21 Uhr, Kampnagel (k1)