Indianer, Insekten, Japaner

Von Alamo bis Pearl Harbor, von John Ford bis CNN: Krieg und Film bildeten in der amerikanischen Kulturgeschichte von Anfang an eine Allianz, in der Wochenschaumaterial und Bilderbuchhelden gemeinsam an die Front gehen. Dabei funktioniert der Wilde Westen bis heute als Mythenlieferant

von RONALD DÜKER

As we go to meet the foe

Let’s remember Pearl Harbor

As we did in Alamo. (Don Reid)

John Ford war ein eher wortkarger Mann. Im Jahr 1942 drehte er den Dokumentarfilm „The Battle of Midway“, der vom zweiten großen Luftangriff der Japaner auf einen amerikanischen Militärstützpunkt nach Pearl Harbor handelte. Nach Abschluss der Dreharbeiten zog Ford irgendwann eine schmale Filmrolle aus der Jackentasche und drückte sie seinem Cutter, Robert Parrish, in die Hand. Der Film enthielt eine Großaufnahme des Gesichtes von Major Franklin Roosevelt Jr. Parrish konnte sich zwar nicht daran erinnern, dass der Sohn des Präsidenten während des Gefechts auf Midway gewesen war, aber er folgte Fords Anweisung und fügte die Aufnahme an der gewünschten Stelle in den Film ein. Was ihm der Regisseur nicht verraten hatte: Tatsächlich war der salutierende Roosevelt-Spross nicht in Midway, sondern vier Wochen zuvor auf einem Flugfeld, zweitausend Meilen entfernt, gefilmt worden.

Die Fälschung hatte strategische Funktion. Sie ersparte „The Battle of Midway“ das Schicksal von „December 7th“, seiner kurz zuvor entstandenen Dokumentation über Pearl Harbor, die Ford nicht durch die Zensur gebracht hatte. Ausgerechnet dem ausgebufften Westernregisseur war mit „December 7th“ ein entscheidender Fehler unterlaufen: Der Film konnte mit keinem einzigen Helden aufwarten und zeigte zu deutlich, wie unvorbereitet die Amerikaner auf den japanischen Luftangriff gewesen waren. Tausende nahezu wehrlos hingemetzelte Soldaten boten kein Bild, von dem sich aus Sicht der Propaganda ein positiver Effekt auf die Moral der Amerikaner kurz vor dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg erwarten ließ.

Die hereingeschnittene Großaufnahme von Franklin Roosevelt Jr. ersparte „The Battle of Midway“ das Schicksal eines Verbots durch die Zensur. Außerdem sorgte Ford dafür, dass sein Film zuerst im Weißen Haus gezeigt wurde. Der schwer kranke Präsident wohnte der Vorstellung im Rollstuhl sitzend bei. Als er seinen eigenen Sohn aufrecht salutierend auf der Leinwand erblickte, verfügte er, dass jede Mutter in Amerika den Film zu sehen bekommen müsse. „The Battle of Midway“ lief mit 500 Kopien in den amerikanischen Kinos an und bescherte Ford seinen vierten Oscar. Um das Herz einer jeden amerikanischen Mutter zu rühren, musste zunächst das des Präsidenten gerührt werden: mit drei Sekunden Fiktion in einem zwanzigminütigen Dokumentarfilm.

This really happened

Als Leiter der „Field Photographic Branch“, einer Abteilung des Auslandsgeheimdienstes, war John Ford für die filmische und fotografische Produktion im Rahmen militärischer Maßnahmen in Übersee verantwortlich. Der Film, den Ford mit erfahrenen Kameramännern aus Hollywood in Pearl Harbor drehte, sollte zum einen die Verwüstungen des Angriffs dokumentieren, zum anderen aber auch das Kampfgeschehen selbst. Von den Originalaufnahmen der Wochenschau existierten jedoch nur zehn Minuten. Ford ergänzte sie durch nachgestellte Szenen, die größtenteils in den Fox-Studios in Hollywood produziert wurden. Gedreht wurde auf 16-mm-Kodak-Farbfilm unter dem Einsatz von aufwendiger Pyrotechnik, Kulissen und Modellen von Schlachtschiffen. Ironischerweise war es genau dieser künstlich produzierte Realismus, der den Zensoren zu grausam vorkam.

Als die Japaner dann am 4. Juni den Militärstützpunkt Midway bombardierten, standen nicht nur die Abwehrgeschütze, sondern auch die Kameras bereits in Position. Mitten im Schlachtgeschehen erteilte Ford den Soldaten nun Regieanweisungen. Während im Hintergrund Bomben detonieren, wird vor laufender Kamera das Star-Spangled-Banner aufgezogen. Eine pathetische Stimme aus dem Off beglaubigt die Authentizität dieser Szene: „Yes, this really happened.“ Ford, der während der Dreharbeiten von „The battle of Midway“ selbst von einem Schrapnell getroffen wurde, hatte den Kriegsschauplatz in ein Filmset verwandelt. Er kann daher als einer der Paten einer Allianz von Krieg und Kino beziehungsweise der von Krieg und Fernsehen gelten. Wenn amerikanische Soldaten heute in Somalia oder im Kosovo vor der Kamera agieren, dann in dem Bewusstsein, dass die Medienanordnung sie überhaupt erst zu Kriegshelden macht. Moderne Schlachten sind die, die bereits von CNN ausgeleuchtet wurden, bevor sie überhaupt begonnen haben.

Rudyard Kipling war der Meinung, dass das erste Opfer des Krieges immer die Wahrheit sei. Paul Virilio veränderte diesen Satz: „Das erste Opfer des Krieges ist das Konzept von Realität.“ Aus den Parallelen zwischen Kinematographie und Luftaufklärung bzw. den theatralischen Täuschungsmanövern der Aliierten im Zweiten Weltkrieg weist Virilio den Zusammenhang zwischen Krieg und Kino in seiner historischen Entstehung nach. Damit der Kriegsfilm in seiner Fiktionalität funktionieren kann, muss er immer wieder auf die schon verloren geglaubte Wahrheit zurückkommen.

In diesem Sinne bediente sich auch Michael Bay in seinem Blockbuster „Pearl Harbor“ des erhaltenen Wochenschaumaterials. Genau wie bei Fords Pearl-Harbour-Film schließt die Verwendung der Schwarzweißbilder in einem Hollywood-Farbfilm die Lücke zwischen Dokumentation und nachträglicher Spielfilminszenierung. Zudem sollte aber auch auf den Schauder des historischen Fetischs nicht verzichtet werden, und so unternahm Bay eine Tauchexpedition. Am Arizona Memorial vor Pearl Harbor, wo das Schlachtschiff „Arizona“ samt 1.100 toten Soldaten auf Grund liegt, bekam Bay von der Navy und dem National Park Service als Erster eine Dreherlaubnis. Die Unterwasseraufnahmen des Schiffswracks, die in „Pearl Harbor“ kurz zu sehen sind, rufen eine filmgeschichtliche Parallele in Erinnerung.

Remember Pearl Harbor

Schon einmal fungierte ein gesunkenes Schiff als authentischer Fetisch der Propaganda. Der kubanische Krieg von 1898, in dem die USA den Befreiungskampf der Kubaner gegen die spanischen Kolonialherren unterstützten, war der erste überseeische Militärkonflikt der USA seit ihrem Bestehen. Den Anlass für den Kriegseintritt bildete, ähnlich wie in Pearl Harbor, ein spanischer Angriff auf ein amerikanisches Kriegsschiff, das in Havanna vor Anker lag. Das Wrack der „Maine“ wurde zum wichtigsten Motiv der amerikanischen Propaganda. Dabei spielte neben der Presse das noch junge Medium Kino eine wichtige Rolle. Der Kubakrieg verhalf dem Kino schlagartig zu einer bis dahin nicht für möglich gehaltenen Popularität. Allein das „Proctor’s 23rd Street Theater“ in New York zeigte mehr als dreißig kurze Filme aus der Produktion Thomas Alva Edisons, die sich mit dem Krieg befassten. Während die Zuschauer das „Wreck of the Battleship Maine“ auf der Leinwand sahen, erscholl im ganzen Land der Schlachtruf „Remember the Maine – to hell with Spain!“. Da amerikanische Soldaten in diesem Krieg zum ersten Mal außerhalb des nordamerikanischen Kontinents kämpften, entstand ein Erklärungs- und Legitimationsbedarf. So transformierte die Propaganda den historischen Bruch zur Kontinuität: In „Remember the Maine“ klingen „Remember Custer“ und „Remember the Alamo“ nach und damit die Evokation legendärer Wildwestschlachten.

Der Hit des Jahres 1941 hieß „Remember Pearl Harbor“. Die Radiostationen verbreiteten diesen Song über das ganze Land – und wieder war klar, dass der große bevorstehende Krieg nichts anderes war als eine weitere Ausdehnung des Kampfs im Wilden Westen.

Nun ist mit diesem Kampf, sobald er am Ende des 19. Jahrhunderts die kontinentalen Grenzen überschritten hatte, kein Landgewinn mehr verbunden. Postkolonialistische Kriege, gleichgültig ob sie in Kuba, im Pazifik oder in Europa stattfinden, produzieren einen moralischen Legitimationsbedarf. Die Bildungsanstalt dieser Moral ist immer noch der Wilde Westen: Er motiviert wahrscheinlich noch den letzten Piloten eines Apache-Hubschraubers im Kosovo.

Die letzten Bilder von „Pearl Harbor“ zeigen ein Familienidyll. Auf der heimischen Farm bringt ein Vater seinen Sohn mit einer Propellermaschine in die Luft. Die Szene wiederholt eine Eingangssequenz: Hier war der Pilot als kleiner Junge zu sehen, der seinerseits von seinem Vater das Fliegen lernt. Dieser steht noch ganz in der Tradition des Wilden Westens. Sein Weideland ist zwar nicht mehr von Indianern bedroht, aber dafür von Insekten. Er verteidigt es mit seiner einmotorigen Maschine, die ihm zum Versprühen von Insektiziden dient. Vor den Luftangriffen auf Pearl Harbor zeigt der Film die japanischen Flieger beim Anlegen ihrer bedruckten Kopftücher, in denen sie wie indianische Krieger wirken. Die Logik des Generationswechsels ist eindeutig. Der Sohn in den Diensten der Air Force soll mit den Japanern das tun, was der Vater mit den Insekten und der Groß- und Urgroßvater mit den Indianern getan hat. Wenn 1945 in Hiroshima über 200.000 Menschen sprichwörtlich wie Fliegen starben, erscheint das wie die Konsequenz dieser nicht zu Ende erzählten Geschichte.

Kriegsfilm, Filmkrieg

Es war der D-Day, der die amerikanische Kriegführung und das Kino in einer bis dahin ungekannten Dimension kurzschloss. John Fords „Field Photographic Branch“ war nun selbst zu einer strategischen Größe geworden. Ohne deren Luftaufnahmen wäre die Landung der Alliierten in der Normandie nicht möglich gewesen. Die Landungsboote, die am D-Day die Küste erreichten, funktionierten zugleich wie Kameras. Ausgelöst wurden sie durch das Ausklappen der Rampen. Wenn diese auf dem Grund aufschlugen, produzierten fest installierte Imo-Kameras jeweils 45 Sekunden Film, zusätzlich waren fünfzehn Filmteams im Einsatz. Am Schneidetisch bekam Ford viele sterbende Soldaten, aber keine Helden zu sehen. Oder wie er es zwanzig Jahre später in seinem einzigen Interview zum D-Day für ein Veteranenmagazin formulierte: „Alle diese seekranken Kids waren Helden.“ Das Filmmaterial fiel zum größten Teil wieder der Militärzensur zum Opfer.