Pillen als Besitz

Billigmedikamente retten Leben, doch nicht jeder darf sie herstellen. WTO befasst sich mit Patentschutz

GENF taz ■ Ohne öffentlichen Druck wäre die Sitzung gestern wohl nicht zustande gekommen. Vor den Türen der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf zeigten sich WTO-Kritiker daher zufrieden über „einen ersten kleinen Erfolg“. Drinnen tagte unterdessen der Auschuss, der für das „Abkommen zum Schutz handelsrelevanter intellektueller Besitzrechte (Trips)“ zuständig ist.

Auf der Tagesordnung stand erstmals der Konflikt zwischen Patentschutz für bestimmt Medikamente, etwa gegen Aids und Tuberkulose, und der Notwendigkeit, diese Medikamente zur Verfügung zu haben. Vom Patentschutz profitieren die großen Pharmakonzerne. Angewiesen auf bezahlbare Medizin sind viele hundert Millionen Menschen vor allem in den Entwicklungsländern.

Eine WTO-Sitzung zu diesem Thema galt bis vor kurzem noch als ausgeschlossen. Doch dann verklagten die USA Brasilien, weil es mit der landeseigenen Produktion preiswerter Alternativen zu den teuren Markenprodukten der Pharmakonzerne angeblich das Trips-Abkommen verletzt. Mit demselben Argument strengten 39 Pharmakonzerne einen – erfolglosen – Prozess gegen die südafrikanische Regierung an, weil diese den Import preiswerter Medikamente aus Brasilien oder Indien zulässt.

Die Klage bescherte den Pharmakonzernen einen erheblichen Imageschaden, den sie seitdem mit vereinzelten Preissenkungen sowie mit Medikamentenspenden zu beheben suchen. Doch viele Nichtregierungsorganisationen (NGO), darunter Oxfam und Ärzte ohne Grenzen, sowie die 50 afrikanischen und asiatischen WTO-Mitglieder, auf deren Antrag die gestrige Sitzung anberaumt wurde, halten diese Maßnahmen für unzureichend. Sie sehen das Hauptproblem in den Trips-Bestimmungen beziehungsweise in ihrer „rigorosen Anwendung“. Bis zur Vereinbarung des Trips-Abkommens im Jahre 1994 konnte jedes Land Medikamente vollständig von nationalen Patentschutzbestimmungen ausnehmen.

Doch auch das geltende Trips-Abkommen lässt Ausnahmebestimmungen. So können Regierungen Lizenzen für inländische Produktion wie für den Import von preiswert nachgemachten Medikamenten erteilen, wenn andernfalls die Gesundheitsversorgung der eigenen Bevölkerung nicht gewährleistet ist. Voraussetzung ist allerdings die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes.

Doch bislang hat noch kein einziges Land ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Insbesondere die USA drohten Staaten, die die im Trips-Abkommen enthaltenen Ausnahmeregeln in Anspruch nehmen wollten, mit Handelssanktionen. Ziel der WTO-Beratungen müsse daher zunächst einmal eine „Neuinterpretation“ des Trips-Abkommens sein, fordern 100 NGO in einer Erklärung. Langfristig sei allerdings die Frage zu klären: Gehören internationale Patentrechte – insbesonders auf Medikamente oder Nahrungsmittel – überhaupt unter das Regime der WTO? Trips wird auch Thema der nächsten Welthandelsrunde sein, die im November in Katar beginnen soll. ANDREAS ZUMACH