Der Kanzler will 30 plus X

Vor der SPD-Bundestagsfraktion verkündet Kanzler Gerhard Schröder das Wahlziel für Berlin. Die Berliner Bundestagsabgeordneten fühlen sich wieder ernst genommen. Die SPD-Spitze bemüht sich um Distanz zur PDS

von SEVERIN WEILAND

Eckhardt Barthel hat solche Augenblicke lange vermisst. Der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete weiß, wie sehr die Fraktionskollegen lange Zeit kopfschüttelnd die Ränkespiele der Genossen an der Spree beobachteten. Damit ist es nun vorbei, seitdem die SPD aus der Großen Koalition ausgestiegen ist und sich mit Hilfe der PDS in einen rot-grünen Übergangssenat wählen ließ. „Endlich tretet ihr geschlossen auf, endlich wagt ihr mal was“, fasst der 61-Jährige manche Reaktionen aus der Fraktion zusammen.

Am heutigen Donnerstagmorgen, wenn die Berliner Partei in den Straßenwahlkampf zieht, sollen auch Mitglieder der Bundestagsfraktion dabei sein. Auf die Aufforderung von Fraktionschef Peter Struck, mitzuhelfen, hätten sich 60 bis 70 gemeldet, sagt Barthel.

Der Kanzler selbst hatte am Dienstagnachmittag in einer politischen Erklärung vor der Fraktion Stellung zur Situation in Berlin genommen. Die Entscheidung, sich von der PDS in den Senat wählen zu lassen, sei Sache des Landesverbandes, betonte Gerhard Schröder. Jetzt gelte es, die Sozialdemokraten zu stärken. Schröder nannte vor den Abgeordneten auch sein Wunschziel: 30 plus X. Zuletzt hatte die SPD bei den Abgeordnetenhaus-Wahlen im Herbst 1999 einen historischen Tiefstand erreicht: 22,4 Prozent. Nach der neuesten Forsa-Umfrage würde die SPD jedoch auf 31 Prozent kommen und damit zwei Prozentpunkte vor der CDU liegen.

In seiner Ansprache ging Schröder auch auf Kritiker der PDS-Unterstützung ein. Unter Applaus, so heißt es, habe er den Seeheimer Kreis – eine Gruppierung konservativer Sozialdemokraten – gebeten, sich mit Bemerkungen zur PDS zurückzuhalten. Ausdrücklich zu Wort meldete sich mit Markus Meckel, einst Mitbegründer der Ost-SPD, ein moderater Kritiker des Annäherungskurses. Meckel referierte noch einmal die Bedenken, die der Gesprächskreis „Neue Mitte“, ein Zusammenschluss ostdeutscher SPD-Bundestagsabgeordneter, schriftlich formuliert hatte. Darin beschreiben Meckel und die Parlamentarier Uwe Küster und Gunter Weißgerber eine Beteiligung der PDS am Berliner Senat als „Notsituation“, zu der sich die SPD „zum Wohle der Stadt gezwungen“ sehen könnte. Eine solche Situation „dürfte der SPD als Partei allerdings schaden“. Die SPD müsse als gestärkte Kraft aus Neuwahlen hervorgehen, um eine solche Notlage zu verhindern, so die „Neue Mitte“. Deutlich ist das Bemühen von Fraktion und Partei, Distanz zur PDS zu halten. Jede Äußerung zu Gysi und zur PDS mache diese „doch nur interessant“, meinte gestern der Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt. Auch sei das „nicht die zentrale Auseinandersetzung“. Bereits Anfang der Woche wurde deutlich, dass die Bundespartei Klaus Wowereit als Gesamtberliner Spitzenkandidaten aufzubauen hofft. Wowereit stehe eben nicht für Teilung, meinte Generalsekretär Franz Müntefering. Die SPD setzt zudem darauf, dass Gysis Bild sich abnutzt. Dieser habe bislang „mehr auf die Wurst gezielt als auf Brot“, meinte Müntefering in Anspielung auf dessen Talkshow-Fähigkeiten.

Berlin wird – zum ersten Mal seit Jahren – als Wahlkampfort auch von der SPD wirklich ernst genommen. Das Willy-Brandt-Haus stellte bereits Müntefering-Sprecher Michael Donnermeyer ab. Er kennt die Situation der Stadt genau: Vor seinem bundespolitischen Engagement war er lange Zeit Sprecher des Berliner Landesverbandes.

Auch die SPD-Haushaltsexperten nehmen Berlin genauer unter die Lupe. Bis jetzt hält die SPD-Spitze zwar an dem Leitsatz fest, wonach Berlin seine Haushaltsprobleme aus eigener Kraft zu lösen hat. Doch die Arbeitsgruppe Haushalt der Fraktion hat mehrere Varianten erörtert. Eine geht vom schlimmsten Fall aus: dass Berlin am Ende doch die Haushaltsnotlage erklären und der Bund einspringen muss.