Die Schily-Drohung

■ Pinneberg: Was man alles tun muss, um nach einem Neonazianschlag Beweismittel bei der Polizei loszuwerden

Die Nazi–Farbattacke auf das Verlagshaus des „Pinneberger Tageblatt“ (taz berichtete) war ein gezielter Anschlag und keineswegs spontaner Vandalismus, wie die örtliche Polizei glaubt. Beim Tageblatt lag gestern morgen ein auf gelben Karton geschriebenes Bekenntnis im Briefkasten, aus dem hervorgeht, dass es sich um eine vorbereitete Tat mit vorangegangener Observation des Verlagsgeländes gehandelt hat: „Ihr sogenannter Wachdienst PWK, Opel Corsa HH-....“, so der Wortlaut, „ist ein ausgemachter Schlafdienst mit den bekannten drei Punkten.“

Doch wenn sich einmal in den Polizeiköpfen die Theorie der einfachen „Sachbeschädigung“ festgesetzt hat, kann es schwer sein, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Und so beginnt am gestrigen Morgen für Tageblatt-Chefredakteur Rainer Mohrmann ein Irrlauf durch polizeiliche Instanzen: „Ich war davon ausgegangen, dass das Schreiben kriminaltechnisch relevant sein könnte“, sagt er. So ruft er beim zuständigen Itzehoer Staatsschutz an, um den Fund zu melden. Vergebens. Dort war „wegen Betriebsausflug“ niemand zu sprechen. Danach ein Anruf beim Landeskriminalamt in Kiel. „Dort fühlte man sich nicht zuständig“, berichtet Mohrmann und wird an die Kripo-Pinneberg verwiesen, wo es auch einen Beamten für Staatsschutz gäbe. Auch der Anruf bringt nichts, weil der Beamte „im Urlaub“ ist.

Dann ein erneutes Telefonat mit Kiel – diesmal direkt mit dem Vorzimmer von SPD–Innenminster Klaus Buß. Doch der ist auf Terminen außer Haus. Rainer Mohrmanns Geduldsfaden wird dünner und er droht, bei Bundesinnenminister Otto Schily in Berlin vorstellig zu werden, und ihn zu fragen, ob er nicht noch irgendwo einen Polizis-ten abkömmlich habe.

Die Drohung sitzt. Wenig später ruft die Pinneberger Polizei immerhin beim Tageblatt an, um für den heutigen Freitag einen Termin auszumachen. Erst ein taz-Anruf am Nachmittag bringt Bewegung: „Davon wusste ich nichts“, beteuert Sprecher Frank Lassen. „Ich schicke sofort einen Streifenwagen vorbei, um das Schreiben sicherzustellen.“ Revierchef Dieter Aulich ist wenig später um Schadensbegrenzung bemüht. „Natürlich nehmen wir den Vorfall ernst und werden die Tat verfolgen“, sagt Aulich der taz hamburg, „Herr Mohrmann ist ein wenig aufgebracht, weil er nicht gleich den richtigen Gesprächspartner gefunden hat.“

Die Beschwichtigung kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anschlag immer noch als Tat ohne politische Hintergründe eingestuft wird - woran beim Tageblatt niemand mehr glaubt. Immer wenn Artikel über Gewalttaten von Neonazis oder Reportagen und Berichte für mehr Toleranz gegenüber Ausländern erschienen waren, war es zu Anschlägen in Form von Sachbeschädigungen gekommen. Innerhalb von acht Wochen drei Mal. Die Täter kommen nach taz-Informationen aus dem Umfeld des „Pinneberger Sturm“ sowie aus Naziskin-Cliquen aus Hamburgs Nordwesten.

Peter Müller