patrik schwarz über Schröder : Der Frisurtyp
Er hat es geschafft: Kein Mensch spricht mehr über seinen Haarfestiger. Die Nation hat ihm verziehen
Wiglaf Droste sagt, die Kolumnen an dieser Stelle sind nix anderes als Bewerbungsschreiben bei Konkurrenzzeitungen. Deshalb sei auch ein Foto dabei, das gehöre sich schließlich bei Bewerbungen. (Hallo, Herr Aust! Hallo!!) Außerdem, sagt Droste, es steht schon zu viel Madonna in der Zeitung. Scheiße. Schon wieder eine Idee futsch. Dabei habe ich mich vorgestern abend extra vor die Max-Schmeling-Halle zu Berlin gestellt. Drinnen sang Madonna. Draußen standen die Armen, Bedrückten, Ausgesperrten, denen 250 Mark für eine Karte zuviel waren. Der ideale Ort für eine Umfrage zum Thema „Gerhard Schröder im Spiegel seiner Zeitgenossen“.
Der Diskurs über die Repräsentanten dieses Staates leidet nämlich unter struktureller Aphyxie, zu deutsch Luftmangel. (Haben Sie’s gemerkt, Sie da von der Zeit? Ich kann auch Fremdwörter!) Sabine Christiansen, Sandra Maischberger, Doris Schröder-Köpf – wer sonst findet mit seiner Meinung zum Bundeskanzler Gehör in der Gesellschaft? Darum die Umfrage vor der Max-Schmeling-Halle „Was ist der Unterschied zwischen Gerhard Schröder und Madonna?“ – „Madonna ist länger auf dem Markt“, sagt eine Frau, die sichtlich zu jung ist, Schröders Wahl zum Jusovorsitzenden bewusst miterlebt zu haben. Über Detailvergleiche kann hier nicht berichtet werden, um Drostes Madonna-Überdruss-am-Überfluss nicht zu fördern.
Zu Protokoll gegeben werden sollte allerdings ein Meinungs-Cluster unter den Befragten, der im Widerspruch steht zu vorherrschenden Tendenzen der politischen Publizistik. So wird es in den Feuilletons üblich, eine zunehmende Zahl von Politikern zu Popstars auszurufen, namentlich Gregor Gysi, Joschka Fischer und Jürgen Möllemann. Ehe diese Unsitte, die längst ihren subversiven Charme verloren hat, endgültig Gerhard Schröder erreicht, sei festgehalten: Madonna-Fans glauben das nicht. Die Begründungen variieren, zu den Mehrfachnennungen gehörte
– „Er zieht sich nicht aus.“
– „Wer ist Gerhard Schröder?“
Wenn der Kanzler überhaupt Bezug zu einem Popstar aufweist, dann zu „The-artist-formerly-known-as-Prince“. Kein Kanzler wurde so oft neu etikettiert. Das zeugt zum einen von der Label-Freudigkeit der Medien, zum anderen von der Mutationsrate des Gerhard Schröder:
Der Brioni-Kanzler, der nur an sich denkt, der Holzmann-Kanzler, der alle rettet, der Machtwort-Kanzler, der am liebsten kommandiert, der Konsens-Kanzler, der mit allen kuschelt.
Nicht alle neuen Kanzleretiketten machen die alten vergessen, viele schimmern durch. Doch es gibt Fragen, die hat Gerhard Schröder einfach hinter sich gelassen.
Eine Freundin erinnerte mich neulich an einen Disput, der in der Frühzeit der Schröder-Kanzlerschaft unter Fernsehzuschauern eifrig geführt wurde: Benutzt er Haarfestiger? Obwohl die Frage nie abschließend beantwortet wurde, ist sie in der Öffentlichkeit ein wenig aus dem Blick geraten. In Anlehnung an Jan und Aleida Assmann könnte man auch sagen, Gerhard Schröders Haarfestiger hat keinen Eingang gefunden in das kulturelle Gedächtnis der Nation.
Nur Langweiler meinen, das sei kein politischer Vorgang. An den Fragen, die Gerhard Schröder hinter sich lässt, zeigt sich, welche Eigenschaften die Republik ihm verziehen hat.
Das verbreitete Interesse an einem Detail seiner Haarpflege war Ausdruck eines grundlegenden Vorbehalts der Öffentlichkeit: „Ist Schröder echt?“ Von der Konkurrenz mit Oskar Lafontaine um die Kanzlerkandidatur bis zum Desaster der Brioni- und Zigarren-Fotos: Gerhard Schröder musste sich des öffentlichen Zweifels erwehren, er sei ein Blender. Dass Deutschland nicht mehr über die Kosmetika des Kanzlers rätselt, muss keine Folge des Kosovokriegs sein – es ist in jedem Fall der größere Erfolg.
Seit Angela Merkel sich aus der Politik verabschiedet hat, droht dem Kanzler ohne Konkurrenz der Vorwurf der Arroganz. Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung hat dafür einen Titel geprägt, dessen subtile Schönheit sich nur Bayern so recht erschließt, wo das Suffix „-ler“ eine gebräuchliches Mittel ist, Menschentypen nach ihren Eigenschaften zusammenzufassen: Gschaftler, Grantler, Grattler. Schröder – der Arrokanzler.
Persönlich mögen ihn manche Etiketten ärgern, politisch sind sie für den Kanzler ein gutes Zeichen. Für gewitzte Politiker sind Vorwürfe Kapital. Vorwürfe zeigen, die Wähler sind immer noch interessiert – ob fasziniert oder irritiert macht dabei erstmal nicht den großen Unterschied. Erst wenn die Deutschen keine Fragen mehr an Gerhard Schröder haben, wenn er ausgefragt und leer erzählt ist, neigt sich seine Kanzlerschaft ihrem inneren Ende zu. Bis er abgewählt wird, ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Bei Helmut Kohl war das Mitte der 90er soweit, als sich die Deutschen an ihm nicht mehr rieben, nur langweilten. In diesem Licht betrachtet war die Spendenaffäre ein politischer Neuanfang. Die Saga um die verschwundenen Millionen hat ihn wieder zum Hauptdarsteller in einem Drama gemacht – seitdem lesen die Bundesbürger wieder gern von Helmut Kohl.
Fragen zu Schröder?kolumne@taz.de
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