Zurück zum Militärstaat

Guatemala verhängt wegen eines Gefängnisausbruchs den Ausnahmezustand. Honduras will dasselbe tun

SAN SALVADOR taz ■ In Guatemala gilt seit Mittwoch der Ausnahmezustand. Vier Verfassungsartikel sind für zunächst 30 Tage außer Kraft gesetzt. Demnach können Polizei und Armee nunmehr ohne Haftbefehl jeden festnehmen und verhören, der ihnen verdächtig erscheint. Personen und Fahrzeuge dürfen grundlos kontrolliert werden. Die Sicherheitskräfte müssen dabei weder Uniform tragen noch sich ausweisen.

Eine entsprechende Anordnung des Präsidenten Alfonso Portillo vom vergangenen Montag wurde am Mittwoch vom Parlament bestätigt. Auch in Honduras erwägt das Parlament, Grundrechte in der Hauptstadt Tegucigalpa und in den Industriezentren San Pedro Sula und La Ceiba außer Kraft zu setzen. Der Grund ist derselbe: unkontrollierbare Kriminalität.

In Guatemala gibt es dafür einen aktuellen Anlass: Am vergangenen Sonntag sind 78 Häftlinge aus dem einzigen Hochsicherheitsgefängnis des Landes in Escuintla ausgebrochen. Die Crème der guatemaltekischen Unterwelt: alles verurteilte Mörder und Kidnapper; 13 warteten auf die Todesstrafe. Jetzt zittert das ganze Land vor ihnen. Richter, die sie verurteilt haben, bekamen Leibwächter zur Seite gestellt.

Der Coup von Escuintla war gut vorbereitet. „Die Ausbrecher durchschritten 8 Türen und öffneten 24 Türschlösser, ohne dass sich ihnen irgendjemand in den Weg stellte“, rekapitulierte der konsternierte Innenminister Byron Barrientos. Kunststück: Der Gefängnisdirektor, sein Stellvertreter und 16 Wärter waren mit 300.000 Mark bestochen worden. Die Zellen standen offen. Zum Schein warfen die Ausbrecher zwei Handgranaten und inszenierten mit Uzi-Maschinenpistolen und Kalaschnikow-Sturmgewehren ein Feuergefecht. Draußen warteten auf die Bosse fünf Fluchtfahrzeuge. Die anderen kaperten einen Bus. Mindestens 11 der 78 Ausbrecher wurden Angaben der Polizei zufolge bereits am Montag wieder festgenommen.

Der Vorfall ist symptomatisch. Die Zeit der Bürgerkriege in Zentralamerika ist zwar vorbei. Aber ruhig geworden ist es nicht. Die Zahl der Tötungsdelikte ist seither tendenziell gestiegen, die der Entführungen nahm sprunghaft zu. Statistisch wird jeder zweite Bewohner der Region einmal im Jahr Opfer einer Straftat. Polizei und Justiz aber sind so korrupt wie eh und je. Nur 2 Prozent der Delikte werden aufgeklärt. Wenn sich Polizisten und Richter nicht bestechen lassen, dann eben ein Gefängnisdirektor.

Auch die Regierungen reagieren wie früher. Die wenigen rechtsstaatlichen Grundsätze, die nach dem Ende der Militärdiktaturen in die Verfassungen geschrieben wurden, werden einfach über den Haufen geschmissen. In San Pedro Sula patrouillieren seit zwei Wochen Soldaten durch Wohn- und Einkaufsviertel, obwohl das seit einer Armeereform verboten ist. In Guatemala und El Salvador ist dies genauso verboten und trotzdem gang und gäbe. Der für 30 Tage verhängte Ausnahmezustand in Guatemala ist nur der nächste Schritt zurück.

TONI KEPPELER