UNO im Widerspruch

„Ärzte ohne Grenzen“ kritisieren die Arbeit der Vereinten Nationen in Afghanistan. Das Auftreten gegenüber der Taliban sei inkonsequent, der neutrale Charakter humanitärer Hilfe werde verletzt

aus Berlin SVEN HANSEN

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat gestern in Berlin die Afghanistan-Politik der Vereinten Nationen kritisiert. „Die UNO tritt gegenüber den Taliban mit zwei Gesichtern auf“, sagte die Geschäftsführerin der deutschen Sektion, Ulrike von Pilar, bei der Vorstellung des Jahresberichts. Einerseits verhänge der UN-Sicherheitsrat Sanktionen und verurteile das Taliban-Regime. Auf der anderen Seite solle die UNO alle Hilfe für Afghanistan koordinieren und müsse deshalb mit den Taliban über Projekte verhandeln. Dieses widersprüchliche Auftreten der UNO blockiere die Arbeit der UN-Organisationen, sagte von Pilar.

Die Hilfsorganisation kritisierte auch das politische Rahmenkonzept der UNO und der Gruppe der internationalen Geberländer, die Deutschland derzeit führt. Das Konzept vereine mehrere Ziele, die von Friedenssicherung über Schutz der Menschenrechte, die Rückkehr der Flüchtlinge bis zu humanitärer Hilfe reichten. „Im Prinzip erwarten die UNO und die Geberländer, dass alle in Afghanistan arbeitenden Organisationen sich für diese Ziele gleichzeitig einsetzen, sich der Koordination durch die UNO unterordnen und bezüglich dieser Hilfe mit einer Stimme sprechen“, so von Pilar. „Aus unserer Sicht darf humanitäre Hilfe nicht an die Verwirklichung politischer Ziele geknüpft werden.“ Da die zur Neutralität verpflichtete Hilfsorganisation nicht im Tross einer UNO gesehen werden wolle, die die Taliban bekämpfe, habe sie das Rahmenkonzept nicht unterschrieben.

Die Bundesregierung forderte von Pilar auf, sich einzusetzen, die humanitäre Hilfe von der Politik der UNO und der Geberländer unabhängig zu machen.

Sie kritisierte auch Pakistan und Iran, die afghanische Flüchtlinge zurückschicken wollten. Das von 20 Jahren Krieg zerstörte Land erlebe zurzeit die schwerste Dürre seit 30 Jahren. Laut UN sind dort eine Million Menschen von einer Hungersnot bedroht. Allein in den vergangenen sechs Monaten flohen 170.000 Afghanen nach Pakistan. Dort und im Iran leben bereits mindestens drei Millionen afghanische Flüchtlinge, neuere Schätzungen sprechen von bis zu sechs Millionen.

Ärzte ohne Grenzen arbeitet nach eigenen Angaben seit 20 Jahren in Afghanistan. Die zurzeit 70 internationalen und 400 lokalen Mitarbeiter leisteten in 40 Gesundheitszentren und sechs Krankenhäusern medizinische Grundversorgung, Nahrungsmittelhilfe und versorgten Flüchtlingslager mit Wasser und Santitäreinrichtungen.

In Deutschland verzeichnete die Hilfsorganisation im vergangenen Jahr einen Spendenrekord. Mit Einnahmen von 47,2 Millionen Mark wurden 20 Millionen Mark mehr verbucht als 1999. Dies sei vor allem auf die große Spendenbereitschaft nach der Flutkatastrophe in Mosambik zurückzuführen, so die Vorsitzende der Organisation, Gundula Epp-Graack. So sehr man sich gefreut habe, so bestehe bei stark mediatisierten Katastrophen die Gefahr der Überfinanzierung, während für chronische Krisengebiete Geld fehle. Daher seien „freie“ Spenden wichtig.