Noch hofft der Mann am Steuer

aus Lagos JAHMAN ANIKULAPO

Es ist Halbzeit in Nigerias Vierter Republik, und das politische Lexikon des Landes ist um einen Begriff reicher geworden. „Demokratiedividende“ heißt die jüngste Schöpfung des politischen Wortschatzes. „Demokratiedividende“ ist nicht nur ein Wort; sie ist die größte Last, die auf der Regierung von Präsident Obasanjo liegt. Man wartet darauf, dass sie nach zwei Jahren, in denen er die Hoffnung auf bessere Zeiten genährt hat, endlich fällig wird. Der Präsident und seine Leute wehren sich mit dem Hinweis, sie hätten in den ersten zwei Jahren erst einmal den steinigen Boden der Hinterlassenschaften der Militärdiktatur beackern müssen, und erst allmählich könne die Ernte namens Demokratiedividende eingefahren werden.

Nigerias Problem ist: Die vielen Kritiker im Volk haben Recht, und der Präsident hat Recht. Die Regierung hat Leistungen erbracht, und sie ist gescheitert. Sie ist gleichzeitig beliebt und verhasst. Sie geht den richtigen Weg und zugleich den falschen.

Herrscher und Häftling

Als der letzte Militärherrscher Abdulsalami Abubakar vor zwei Jahren die Macht an Obasanjo übergab, war Nigeria am Ende seines politischen Lateins. Die Nerven des Landes waren überspannt nach Jahren der ethnischen Bigotterie, des tribalen Misstrauens, der politischen Effekthascherei. Sogar die Präsidentschaftswahl vom 27. Februar 1999, aus der Obasanjo als Sieger hervorging, hatte mit freien und fairen Wahlen nur wenig zu tun. Aber dennoch war er der glaubwürdigste Kandidat, um das Militär zu zähmen, das mit der Demokratisierung in die Ecke gestellt wurde, aber von dort aus weiter mit den Zähnen fletschte. Er war selbst Militärdiktator gewesen, aber unter Diktator Sani Abacha saß er als politischer Häftling im Gefängnis. So genoss er sowohl bei den Soldaten wie auch bei Demokraten Respekt.

Als ehemaliger Armeegeneral mit beträchtlichem Einfluss unter einfachen Soldaten, der 1979 als erster afrikanischer Militärherrscher überhaupt freiwillig die Macht abgab, war Obansajo das notwendige Instrument zum Abbau der monströsen Militärmaschinerie, die die entstehende Demokratie so leicht hätte ins Verderben führen können. Nigerias Demokratiebewegung hätte lieber einen der Ihren an der Spitze des Landes gesehen, aber sie verzichtete schließlich darauf, den Aufstieg des von der alten Elite geförderten Obasanjo an die Macht zu verhindern, um die Stabilisierung der jungen Demokratie zu ermöglichen. Sie akzeptierte ihn als Mittel zum Zweck.

Dieser Rolle blieb Obasanjo treu. Er nahm die Militärmaschinerie allmählich auseinander. Schon nach wenigen Monaten hatte er die gefürchteten Streitkräfte zum Befehlsempfänger der zivilen Regierung degradiert. Das war eine Leistung. Sie milderte Befürchtungen vor einem neuen Putsch und ließ Ruhe in die Politik einkehren.

Doch im Wesentlichen bleibt Obasanjo ein Fremdkörper in den Korridoren der zivilen Macht. Sein Respekt für Menschenrechte und für Zivilität in der Machtausübung ist gering, wie die finstere Episode vom Herbst 1999 zeigt, als er in Reaktion auf andauernde Aufstände von Jugendlichen in den Ölfeldern des Nigerdeltas die Stadt Odi dem Erdboden gleichmachen ließ. Wo Obasanjo auf Überzeugungskraft setzen sollte, wendet er Drohungen an. Er toleriert keine Kritik, lässt sich nur ungern beraten und wird im Umgang mit den Medien oft ausfallend.

Nichtsdestotrotz muss man ihm zugute halten, dass er die Agitationswelle seitens verschiedener ethnischer Gruppen, die im Namen der Selbstbestimmung eine Balkanisierung des Vielvölkerstaates Nigerias nach 87 Jahren in einen heutigen Grenzen wollen, abgewehrt hat. „Unser wichtigster Erfolg“, sagte er im April, „ist, dass wir das Land geeint gehalten haben, trotz den Bemühungen verschiedener unpatriotischer Kräfte, es auseinanderzubrechen.“

Um dies zu erreichen, musste Obasanjo stur gegen den politischen Strom schwimmen. Die lautstarke Fraktion der nigerianischen Intellektuellen nämlich hatte sich nach dem Ende der Militärherrschaft für eine Souveräne Nationalkonferenz eingesetzt, auf der nach ihrer Vorstellung alle ethnischen Gruppen des Landes die Bedingungen ihrer fortdauernden Zugehörigkeit zur nigerianischen Nation neu ausgehandelt sollen. „Meine Regierung ist schon souverän“, antwortete Obasanjo darauf. „Eine zusätzliche souveräne Konferenz ist überflüssig.“ Er lässt nun stattdessen die geltende Verfassung aus dem Jahr 1999, Überbleibsel der Militärherrschaft, überarbeiten und lässt die Vorschläge einer Überarbeitungskommission in öffentlichen Versammlungen in verschiedenen Landesteilen testen. Einflussreiche ethnische Dachverbände wie die „Afenifere“ des südwestnigerianischen Yoruba-Volkes oder „Ohaneze Ndigbo“ des ostnigerianischen Igbo-Volkes boykottieren diese Veranstaltungen. Aber das stört Obasanjo nicht, denn diese Gruppen stehen außerhalb der Institutionen seines Staates. Er kann sich auf genug Provinzgouverneure und Parteigrößen verlassen, die die Fäden des Regierens und die Staatsgelder kontrollieren und ihre Posten ihm verdanken.

Züge der Intoleranz

Nigerias intellektuelle Elite verlangt eine Souveräne Nationalkonferenz; Obasanjo weigert sich. Nun verlangt die Elite, Obasanjos Wiederwahl im Jahr 2003 zu verhindern; Obasanjo sagt, das sei ihm egal. Er hält sich für beliebt unter den Normalbürgern, den einfachen Wählern, da die Elite sich längst von der Masse des Volkes getrennt habe – aber die Masse des Volkes, dessen Lebensstandard beständig sinkt, wird nicht gefragt. In dieser Haltung des Präsidenten scheint eine Intoleranz durch, die zuweilen hysterische Züge annimmt. So, wenn die Zentralregierung die 36 Bundesstaaten des Landes kollektiv vor dem Obersten Gericht verklagt, weil sie mehr Kontrolle über die Ressourcen auf ihrem Gebiet verlangen.

Die allgemeine Frustration über die Taubheit der Regierung hat Folgen, die zu weiterer politischer Anspannung führen. Überall im Land bilden sich ethnische Milizen aus Leuten, die größere lokale Autonomie gegenüber dem Zentralstaat wollen. Sie wollen auf eigene Faust für „Recht und Ordnung“ sorgen. Es ist ein Wunder, dass die Regierung die verführerische Option des Einsatzes militärischer Gewalt gegen diese Milizen noch nicht ergriffen hat.

Die ethnischen Milizen sind auch ein Zeichen von wachsender öffentlicher Enttäuschung mit den existierenden Institutionen und insbesondere mit den drei einzig zugelassenen politischen Parteien Nigerias. Mehrere Gruppen sind entstanden, die die Zulassung als Partei verlangen, und einige pensionierte Generäle sind aus der Versenkung wieder auferstanden. Wichtigster unter ihnen ist General Babangida, Diktator von 1985 bis 1993 und als der böse Geist der nigerianischen Politik verrufen. Er unterstützte Obasanjo bei seiner Wahl, geht nun aber eigene Wege. Die Rückkehr solcher Personen mit ihrem stinkenden Reichtum sind ein Symptom politischer Fäulnis, die die Vierte Republik auffressen könnte. Sie haben Einfluss, gestohlenes Geld und ethnische Loyalitäten, mit denen sie jede Regierung aus den Angeln heben können. Die Regierung ist nicht in der Lage, jene Armeeangehörige effektiv juristisch zu verfolgen, die die Nation leer geplündert haben.

Als sie an die Macht kam, war die Regierung Obasanjo ein flammender Anhänger des Kreuzzuges gegen Korruption und kündigte an, alle und jeden vor Gericht zu stellen, der sich korrupt bereichere oder der Vergütung politischer Leistungen zugeneigt sei. Um diese Schlacht zu schlagen, richtete die Regierung ein Antikorruptionsgericht ein. Aber zwei Jahre später ist die Korruption noch größer als vorher. Immer neue Staatsbedienstete werden angeklagt, aber Obasanjos Antikorruptionsnetz hat immer mehr Löcher. Es wird gepredigt statt angeklagt. Von den ersten vier Angeklagten des Antikorruptionsgerichts weigerten sich drei, überhaupt zu ihrem Prozess zu erscheinen. Das Oberhaus des Parlaments, der Senat, hat in zwei Jahren drei Vorsitzende erlebt – zweimal wurde der Amtsinhaber der Korruption überführt. Das Unterhaus ist immerhin mit zweien ausgekommen.

Zeichen der Resignation

Da überrascht es nicht, dass die Regierung selbst über ihre Leistungen lieber schweigt. Es gibt Zeiten, in denen der Präsident klingt, als resigniere er. Vielleicht das einzige Gebiet, in dem Obasanjo tatsächlich als glänzender Ritter daherkommt, ist das der Menschenrechte. Es hat unter ihm noch keinen der Militärdiktatur vergleichbaren schweren Fall von Menschenrechtsverletzungen gegeben; die Schaffung der Oputa-Kommission zur Untersuchung der Verbrechen der Diktatur nach dem südafrikanischen Modell hat im Gegenteil geholfen, Spannungen abzutragen. Dass in zwei Jahren Obasanjos Bilanz in Menschenrechtsfragen nahezu sauber geblieben ist – das ist ein Grund zum Feiern. Es entspricht nicht dem Charakter dieses intoleranten und ungeduldigen Präsidenten. Es wäre eine Überraschung, wenn die kommenden zwei Jahre seiner Amtszeit ähnlich glimpflich zu Ende gingen.