Der Konformist

Auf der Suche nach Dirty Harry: Harald Schmidt, die überinterpretierte Galionsfigur der Generation Golf, ist, bei Lichte besehen, weniger subversiv als affirmativ

von JOSEPH VON WESTPHALEN

Zu Beginn des Jahres habe ich einige Hymnen auf Harald Schmidt gesungen, auch in der taz, die insofern daran Schuld trägt, als sie zwischen Harald Schmidt und Stefan Raab einen Wettbewerb der Komödianten ausgerufen hatte, in den ich mich als Raabhasser zugunsten von Schmidt einmischen musste. Seither schwimmt Schmidt auf einer Gunstwelle, und ich habe Bedenken, und zwar altmodisch ideologische.

Nach wie vor halte ich Schmidt für einen famosen Unterhaltungskünstler. Es sind ein paar Ansichten, die er außerhalb seiner Show in Interviews zum Besten gab, die mir gegen den Strich gehen. Klar: Gute Schauspieler können privat Brechmittel sein oder Blödsinn reden. Sollte einem egal sein.

Wenn wir nur Kunst von Leuten gut finden könnten, deren Ansichten wir akzeptieren, wären wir arm. Trotzdem stört mich, dass Harald Schmidt möglicherweise ein artiger Musterschüler ist, der uns den schrägen Bengel nur vorspielt. Während er sich vom Spiegel kokett und clever fragen lässt, wie lange es wohl noch gut gehen wird mit seiner kecken Show, frage ich mich, wie lange ein affirmativer Charakter noch als subversiv verkauft werden kann.

Zur Erinnerung eine Glanznummer aus dem Spätwinter. Die Zeit der deutschen Stolzdebatte. Schmidt beginnt seine Show, indem er auf seine ungenierte Art ein paar dunklere Figuren im Publikum anspricht, ob sie Türken seien. Sie nicken irritiert, amüsiert, reserviert. Schmidt fragt, ob sie stolz darauf seien, Türken zu sein und korrigiert sich gleich in etwa so: „Dumme Frage, es gibt wahrscheinlich nur stolze Türken. Oder? Gibt es überhaupt Türken, die nicht stolz sind?“ – Dann kommt der Sprung zu den Deutschen, gefasst, mit tiefer Stimme: „Wir Deutsche aber: Immer nur Scham und Schande! Wir sind zu einem Gefühl wie Stolz nicht fähig.“ Er spielt den Deutschen, der über den Mangel an Nationalgefühl Bescheid weiß, aber insgeheim nicht erbaut ist darüber. Die Ironie ist kaum spürbar.

Ein Zuschauer mit nationalen Gefühlen kann seine Darstellung ebenso gut und lustig finden wie ein eingefleischter Nationalgefühlverächter. Nun wird Schmidt einen Augenblick lang richtig hell. Er lässt die große deutsche Frage im Raum stehen, zupft an seiner Anzugjacke – und plötzlich, als wäre ihm zu der eben konstatierten Unfähigkeit der Deutschen, stolz auf sich zu sein, noch etwas einfallen, brüllt er ins Publikum: „ZU RECHT!“

Sein Kreischen nervt oft, dies hier aber war ein unexaltierter Belehrungsschrei, impulsiv, souverän, verschwenderisch. Ein seltener, schriller Augenblick des Farbebekennens. Himmel, dachte ich neidisch, ich habe ein ganzes Buch über Deutschland geschrieben, auch darüber, dass der Stolz der vernünftigeren Deutschen, auf sich selbst nicht stolz zu sein, einem zwar auf die deutschen Nerven gehen kann, dass diese selbstzufriedene Nationalnegation aber immer noch besser ist als der von manchen Affen als natürlich angesehene Nationalstolz selbst.

Wie viele Seiten habe ich für die Darstellung dieses Hickhacks gebraucht – während Harald Schmidt das mit zwei gut gebrüllten Worten hingekriegt: ZU RECHT! Wenige Wochen später habe ich gesehen, wie sich Harald Schmidt vom hanseatischen Günter Gaus ausfragen lässt. Dass Schmidt in solchen Fällen nicht spielt, sondern die ehrlich Auskunft gebende Haut ist, dass er die Ironie sein lässt und sich greifbar macht, ist sympathisch. Nur: Was ich zu greifen bekam, hat mir nicht so gefallen.

Dass Witze über den Papst unter Schmidts satirischem Niveau sind, leuchtet nur halb ein. Mag ja sein, dass die Kirche als beliebte Zielscheibe für Kabarettisten tatsächlich schon etwas abgebraucht ist. Dann muss man sich eben anstrengen. Man sollte einen Narren wie den Papst nicht ausklammern. Die bittere Wahrheit jedoch ist, dass Harald Schmidt den Papst eben nicht für einen Narren, sondern für einen großen Mann hält. Befremdlich.

Kann der Katholizismus so tief in einem Menschen drin sitzen? Besticht den in Quoten denkenden Fernsehschmidt das Phänomen, dass der Papst ohne viel Werbung ein Quotenmonster ohnegleichen, dass er trotz seiner sakralen Vertrotteltheit ein Publikumsmagnet ist? Auch der erfolgreichste Fernsehstar kann nur neidisch träumen von einer treuen Millionenmasse von Gläubigen, die den Papst nie wegzappt.

Wieder wenige Wochen später, mitten in einer Maiennacht, holt mich Harald Schmidts Stimme aus den Schlaf. Kein Traum. Ich war nur wieder mal vor laufender Glotze eingeschlafen. Bei Phoenix. Großartig: alte DDR-Filme für Lehrer, in denen – fast liebevoll – die Notwendigkeit des Mauerbaus erklärt wurde. Wie man als Pädagoge geduldig und im Sinne der Weltrevolution auf pampige Fragen ungläubiger Schüler reagieren soll. Wahnsinn – dieser sanfte, schleimige, geduldige Ton, dieser Gegensatz zu den schneidenden Nazipropagandafilmen. Ich hätte gern das ganze Haus voller Ossis gehabt und sie um Kommentare gebeten. Bei dieser Vorstellung muss ich eingeschlafen sein.

Dann also Harald Schmidt im Gespräch mit Roger Willemsen. Aufzeichnung von den Mainzer Tagen der Fernsehkritik. Vor erlesenem Fachpublikum. Es geht um das Tabukitzeln der Comedysendungen. Schmidt ist entspannter als bei Gaus, aber auch sehr bedacht. Willemsen fragt nicht trocken, sondern vergleichsweise süßlich und aufgekratzt, was den Vorteil hat, dass Schmidt unvorsichtig wird. Dass er das Fernsehen als „Schrott“ und „Scheißdreck“ bezeichnet, ist wenig originell.

Der Spiegel wird diese harmlosen Bezichtigungen später dennoch kühn finden. Nicht uncharmant wundert sich Harald Schmidt über seine neuerliche Bedeutung. Er versteht gar nicht, warum die Intellektuellen so auf ihn abfahren und Hymnen schreiben. (Und schon verstand ich meine Hymne nicht mehr.) Fernab aller Koketterie dann ein fast rührendes Geständnis: Er werde mehr und mehr zu einer Kunstfigur, er schließe nicht aus, privat immer leerer zu werden und eines Tages in sich zusammenzufallen, er hoffe nur, diese Implosion werde keiner bemerken. Gut! Richtig literarisch.

Irgendwann sagte Schmidt, ihm sei eine anständige Doppelmoral lieber als das modernistisch aufrechte Getue. Lieber ein Pfarrer, der ein heimliches Verhältnis hat, als diese unheimliche Offenheit. Einverstanden, dachte ich, während Schmidt und Willemsen schon woanders waren, es ist zu wenig bekannt, dass es ohne Doppelmoral nicht geht. Keine Ehe, keine Liebe, kein Job ohne Doppelmoral. Kein Lesen, kein Schreiben, kein Kritisieren, keine Kunst, kein Geldverdienen, kein Geldausgeben ohne Doppelmoral – und vor allem: kein Geldanlegen.

Dann kamen beide Herren auf das Militär zu sprechen und auf das ziemlich ungebrochene Verhältnis der Amerikaner zu ihren Soldaten. Ein flotter Amifernsehfritze findet bekanntlich nichts dabei, seine Truppen in irgendeiner Wüste oder einem Dschungel zu unterhalten. So weit würde er nicht gehen, sagte Schmidt, aber er sagte es fast mit einem Anflug von Bedauern.

Und dann ließ er verlauten, er habe durchaus nichts gegen die deutschen Soldaten. Tatsächlich, fiel mir ein: Über die Bundeswehr macht er, soweit ich weiß, ebenso wenig Witze wie über die Kirche. (Er sollte mal am Freitagnachmittag in einem mit sächsischen Wehrpflichtigen vollgestopften ICE von Bamberg nach Leipzig fahren.) Es gehe ihm gut, sagte er, und er sehe in den Soldaten eine Art – nein, „Garanten der Freiheit“ sagte er nicht, aber er sagte das sinngemäß: Seine, Schmidts Freiheit und seinen Wohlstand habe er nicht zuletzt den deutschen Soldaten zu verdanken, die sozusagen bereit seien, für sein Wohlleben den Kopf hinzuhalten.

Jetzt wurde ich hellwach, so knallhart und kreuzbrav unironisch hatte Harald Schmidt diese Sätze auf den Boden des Grundgesetzes genagelt. Willemsen lächelte zwar noch immer hold, wirkte doch aber etwas unsicher. Und ich fragte mich, wo Schmidts eben noch gepriesene Doppelmoral geblieben war? Wenn er schon der penetranten Ansicht ist, dass den Jungs vom Militär der Frieden zu verdanken sei, dann erlaubt einem doch die Doppelmoral, eben dieses Militär in Grund und Boden verdammen. Peinliches Sozialkundereferat eines CSU-nahen Abiturienten, was Harald Schmidt stattdessen bot.

Vor vielen Jahren, 1987/88, habe ich im damaligen Zeitmagazin aus der Warte eines pazifistischen Spaziergängers den Satz geschrieben: „Eine Plastiktüte mit Abfällen am Waldrand ist mir lieber als ein Soldat.“ Wegen dieser menschenverachtenden Bemerkung gab es jede Menge Ärger bis rauf zu Helmut Schmidt. Hunderte von Berufssoldaten schrieben empörte Leserbriefe: „Sie können sich Ihren Antimilitarismus nur leisten, weil das Militär Ihnen Ihre demokratischen Freiheiten überhaupt erst ermöglicht!“

Allen Ernstes waren die Zeit-Leser der Meinung, dass es der Bundeswehr zu verdanken sei, dass ich meine Klappe aufreißen konnte – und was mache ich undankbarerweise: Ich reiße die Klappe auf! An dieses hirnverbrannte Gerede erinnerte ich mich jetzt, als der verhinderte Truppenbetreuer Harald Schmidt den deutschen Soldaten quasi zugrüßte. Exakt so schlicht und schneidig hatten damals die Offiziere argumentiert.

Herr Schmidt! Man muss keinem Soldaten dankbar sein! Wer das erwartet, dem kann man entgegenhalten: Wir sind es, ihr Idioten, die wir mit unserem Aufreißen der Klappe für die nötige Freiheit sorgen.

Wo bleibt Harald Schmidts Respektlosigkeit? Über koksende Fußballer, wichtigtuerische Kanzlergattinnen oder schwule Ossis Witze zu machen, ist schon in Ordnung, aber wenn man diese absolut lächerlichen kirchlichen Würdenträger und diese Hohlköpfe ausspart, die zu dumm und zu faul sind, mit einer simplen Unterschrift den Wehrdienst zu verweigern, dann ist das Gewitzel fad.

Oder war Schmidt im Grunde immer angepasst und lammfromm? Oder ist Lammfrommsein der letzte Knüller? Der klassische Komiker und Kabarettist belehrt und erheitert uns, indem er ein Arschloch spielt. Gerhard Polt zum Beispiel. Hinter den Scheusalen, die er vorführt, steht ein Mensch mit vernünftigen Ansichten. Das Irritierende an Harald Schmidt ist, dass er den gesinnungslosen Anarchisten spielt – und sich hinter den Vexierbildern der Ironie als ein glatter Konformist mit einer erstaunlich konservativen Gesinnung entpuppt.

Schmidt ist die Galionsfigur der Generation Golf. Es ist neckisch, wenn die coolen Youngster sich über ihre 55-jährigen Achtundsechziger-Eltern lustig machen, denen es peinlich ist, ihre Teppiche von einer Putzfrau saugen zu lassen. Und wenn die Mitte Zwanzig- bis Mitte Dreißigjährigen (wie ihr großer 42-jähriger Bruder Harald Schmidt) nicht ohne schnieke Bossanzüge aus dem Haus gehen, dann ist das meinetwegen ein alberner Reflex auf den albernen Krawattenhass ihrer Väter. Wenn die Mitglieder der Spaßgesellschaft aber anfangen, staatstragend wie christliche Reserveoffiziere daherzureden, dann soll sie der Teufel holen.

Wir haben Harald Schmidt überinterpretiert. Es ist nicht alles verdrehte Ironie. Als er den Quatsch mit den deutschen Soldaten erzählte, wurde im exquisiten Publikum natürlich gekichert, aber es war ihm leider ebenso ernst wie sein Papstlob. Willemsens Einwände waren derart verzuckert, dass Schmidt schließlich weiterging und munter lachend, aber durchaus nicht im Spaß verriet, die unfeierliche Einweihung des neuen Kanzleramts sei ihm auf den Keks gegangen.

Dabei ging ihm der abgedroschenste der üblichen Hinweise flott von den Lippen: Wie anders man im Ausland mit nationalen Gefühlen umgeht! „Ich will Fahnen sehen!“, rief Schmidt und lachte über seine Frechheit, sich so offen zur „nationalen Normalität“ zu bekennen. In seiner Show wäre der Ausruf wohl als subversiv aufgefasst worden.

In diesem Gespräch war Harald Schmidt aber nur noch wenige Millimeter von dem launigen Jökeln Guido Westerwelles oder irgendeines Ochsen aus der Jungen Union entfernt – und sehr weit weg von seinem Aufschrei, dass sich die Deutschen „ZU RECHT!“ klein machten und genierten. Dieser schöne intelligente Schrei war nicht echt und nicht ernst gewesen. Schade.

JOSEPH VON WESTFALEN, 55, lebt als Schriftsteller in München. Sein jüngstes Buch: „So sind wir nicht! Elf deutsche Eiertänze“, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000, 174 Seiten, 32 Mark