Pulverfass namens Jugoslawien

Wladimir Gligorow, Südosteuropaexperte aus Wien, hat das Credo der jugoslawischen Sezessionisten einmal sehr prägnant beschrieben: Why should I be a minority in your state, when you can be a minority in mine? – Warum soll ich einer Minderheit in deinem Staat angehören, wenn du selbst einer Minderheit in meinem Staat angehören könntest?

Seit zehn Jahren werden die Scherben des jugoslawischen Melting Pot zusammengekehrt. Die zerbrochenen Teile des einstigen Ganzen werden unterdessen immer kleiner. Das Preševotal in Südserbien, wo eine bedeutendere albanische Minderheit lebt, umfasst gerade mal zweihundert Kilometer. Gerade aus dieser kleinsten Krisenregion kommen die positiven Nachrichten.

Erstmals, so scheint es, wird ein ethnisch-politischer Konflikt vor der totalen Gewalteskalation auf dem Verhandlungswege beigelegt. Als Vater des Erfolgs gilt der stellvertretende serbische Ministerpräsident Nebojša Ćović. Er hat mit symbolischen Gesten, geduldigem Zureden und Rückendeckung der Nato die Rebellen der albanischen Befreiungsbewegung UÇPMB zum Einlenken bewegen können.

Makedonien hingegen steht gerade vor der staatlichen und gesellschaftlichen Explosion. Die Alternative zu den Konflikten um Minderheiten, Territorien und Grenzen lag im Erhalt der jugoslawischen Föderation.

Noch während des Bosnienkriegs forderte eine Minderheit ausländischer Beobachter eine Renaissance des klassischen Jugoslawien. Solche Forderungen waren und sind natürlich unrealistisch.

Jegliche staatliche Assoziierung oder Kooperation unter jugoslawischen Vorzeichen stößt von Zagreb bis Skopje auf hysterische Ablehnung. Für regionale Kooperation ist man hingegen offen, vor allem wenn sie über den postjugoslawischen Raum hinausreicht und potente Nachbarn, etwa Österreich, Italien oder Slowenien, das inzwischen den postjugoslawischen Raum verlassen hat, einschießen.

Zur multilateralen Zusammenarbeit gäbe es Anlass genug, sie steckt aber in den Anfängen. Die fünf Nachfolgestaaten – Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Makedonien, Slowenien, Jugoslawien (Serbien) – haben sich bis heute nicht einmal über eine Gesamtlösung für die materiellen Hinterlassenschaften (Vermögensbeträge, Auslandsschulden) einigen können.

Niemand darf erwarten, dass die fünf Milliarden US-Dollar des Stabilitätspakts für Südosteuropa den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Region ermöglichen werden.

Für ein solches Unterfangen ist diese Summe geradezu lächerlich (erinnert sei an die ungefähr gleich große Höhe nur eines Berliner Haushaltslochs). Der Westen hat gegenwärtig nur ein Interesse: keine bewaffneten Konflikte – auch, um Flüchtlingsströme in seine Staaten zu verhindern.

Ein Übergreifen auf andere Staaten, insbesondere das gegenwärtig durch den Makedonienkonflikt unmittelbar bedrohte Griechenland, soll unterbunden werden. Die fünf Milliarden US-Dollar können eventuell einen wackeligen Frieden finanzieren, mehr aber auch nicht. HEIKO HÄNSEL