Bremen: Die Stadt ohne Bosse

■ Die Hansestadt in der Globalisierungsfalle: Nur Becks ist geblieben, sonst entscheiden Multis aus aller Welt über die Jobs in der Stadt / IG-Metaller Reinken schlägt vor: Cluster bilden!

Wolfgang Thierse schlug Alarm: „Das Land steht auf der Kippe.“ Zu viele Arbeitslose, zu wenig Industrie, vor allem zu wenige Firmenzentralen. Mit seiner „Kippe“-Theorie meinte der Bundestagspräsident natürlich den siechen Osten, wo nur noch eins der zehn größten Unternehmen (Jenoptik) auch seine Zentrale hat. In Bremen ist es ähnlich: Einst war Weser-City Sitz von großen Namen: AG Weser, Vulkan, STN Atlas, Borgward oder Nordmende waren samt Headquarter vertreten. Geblieben: einzig Beck's. Sonst ist die Hansestadt nur noch verlängerte Werkbank einiger weniger „Global Player“. In Bremen wird geschuftet, entschieden in Stuttgart, Michigan oder Hamburg. Nicht immer zum Vorteil der Hansestadt.

Abrutschen in die 2. Liga

„Bremen ist in den letzten zehn Jahren von der 1 B-Liga in die 2. Klasse gerutscht“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner. „Ein Job, über den hier nicht mehr verfügt wird, ist nur noch dreiviertel so viel wert. Wenn es Spitz auf Knopf steht, fragen globale Unternehmen: ,Bremen? Wo war das noch mal?' – und streichen.“ Für Elsner der Wirtschafts-Gau der 90er Jahre: Die Vulkan-Pleite: „Das Schlimme daran waren gar nicht die 6.000 verlorenen Jobs, sondern, dass jemand wie Hennemann weg ist – der war Bremen-committed.“

Bremen: Stadt ohne Jobs – und ohne Bosse. „Man darf die persönlichen Bindungen des Managements an seinen Wohn- und Arbeits-ort nicht unterschätzen“, meint auch Dieter Reinken von der IG Metall. Aber: Nicht nur Emotionen bestimmen den Faktor „Entscheidungszentralität“. Um sich herum sammeln die Headquarters nämlich zukunftsträchtige Jobs: „Die Zentralen siedeln unternehmensbezogene Dienstleistungen in ihrer Nähe an, zum Beispiel Forschung, Entwicklung und Marketing. Genau das waren die Wachstumsbranchen der letzten Jahre – nur nicht in Bremen“, sagt Heiner Heseler von der Kooperationsstelle Universität – Arbeitnehmerkammer. IG Metall-Mann Reinken warnt: „Ein zu großer Teil der Bremer Unternehmen ist in globale Strukturen eingebettet, die große Linie der Konzerne wird nicht hier gemacht“. Wenn gespart werden muss, sind tendenziell zuletzt die Firmensitze mit ihren Denkfabriken und Chefvillen dran.

Das gilt nicht nur für den größten Arbeitgeber der Stadt, Daimler-Chrysler (17.000 Jobs), der sich mit den Amis ein erhebliches Risiko ans Bein gebunden hat, sondern auch für Bremer Traditionsfirmen.

Die Jobs wackeln

Beispiel Jacobs: 1895 als Kaffeerösterei in der Innenstadt gegründet, 1990 vom Kippen-Multi Philip Morris geschluckt. Beispiel Gestra: 1902 in Bremen gegründet, heute Teil der Invensys-Gruppe mit Sitz in London, dem „global leader in the automation and controls industry“. Fast-Beispiel Stahlwerke: In den 50ern von Klöckner gegründet, steht jetzt die Integration in den sich formierenden Stahl-Giganten NewCo. an: Da wackeln bei EKO in Eisenhüttenstadt, auch ein Teil von NewCo., schon 1.500 Jobs. „Ja“, sagt Ökonom Elsner, „wir haben überall starke Partner. Nur: Die sitzen nicht in Bremen.“

Für Heseler ist Nordmende der Vorbote der bösen Globalisierung : „Anfang der 80er wurde Nordmende von der französischen Thomson-Brand-Gruppe übernommen und stillgelegt. In Bremen und Bremerhaven waren vor allem Frauenarbeitsplätze betroffen.“

Globalisierung kann auch Jobs erhalten: Über Wohl und Wehe der alten Bremer Wollkämmerei wird heute eigentlich downunder entschieden. „Wir haben die Australier nicht gerufen“, sagt Unternehmenssprecher Thomas Bolte. Derzeit hält die australische Firma Elders schon 40,91 Prozent der Aktiengesellschaft. Zwei Australier sitzen im Vorstand, Gefahren sieht Bolte dadurch nicht. „Im Gegenteil: Ohne den Partner hätten wir Probleme: 75 Prozent der Merino-Rohwolle kommt aus Australien. Wir brauchen diese Rohstoffe.“

Politik für Multis: schwierig

Klar ist: Über regionale Märkte bindet Bremen heute höchstens noch die Bauindustrie an sich. So etwa, wenn Zechbau sich mit einer Latte kommunaler Aufträge gesundstößt, um auf nationaler Ebene zu expandieren.

Was tun? „Die Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik für Multis sind begrenzt“, sagt Reinken von der IG-Metall. Sein Vorschlag: „Standorte attraktiv machen durch ein Umfeld, das für den Betrieb nützlich ist.“ So siedelten sich in der Hemelinger Marsch Zulieferer für Mercedes an. Kabel- und Textilhersteller, die vielleicht einmal ins Gewicht fallen, wenn eine Schließung im weltweiten Werks-Netz ansteht. Cluster-Bildung nennt man das. Dazu gehört auch, dass die Uni einen Schwerpunkt Luft- und Raumfahrt hat: Eine Menschenschmiede für den EADS-Konzern, dessen Bremer Teil aus Focke-Wulf, später Messerschmidt und Deutsche Airbus, hervorgegangen ist.

„Man muss die Scherben aufpicken, die noch da sind“, meint Wirtschaftswissenschaftler Elsner. Logistik und Schiffbau – hier lägen die Chancen der Stadt. „Diese strategischen Netzwerke werden für globale Partner immer mehr zu dem Standortfaktor schlechthin.“

hey/ksc