Strikt kindsköpfig

Das Georg-Kolbe-Museum zeigt die Familientradition rund ums Werk des Architekten und Designers Stefan Wewerka

Wer seinem Katalog Porträts von Karl dem Großen und Mies van der Rohe voranstellt, will Maßstäbe setzen. Stefan Wewerka wusste sich stets lautstark zu behaupten – als Architekt und Zeichner, Bildhauer und Aktionskünstler, Möbeldesigner und Modeschöpfer. In der Ausstellung „Wewerka – Tradition einer Künstlerfamilie“ im Georg-Kolbe-Museum tritt der nunmehr 73-Jährige weniger frontal in Erscheinung: Hier werden die Beziehungen gezeigt, die sich zu den Arbeiten seines Vaters Rudolf (1889–1954), des Onkels Hans (1888–1915) und seines 1965 geborenen Sohnes Philipp ergeben.

Die Skulpturen der beiden älteren, vornehmlich mit Keramik arbeitenden Bildhauer aus dem Wewerka-Clan sind formal durch Ernst Barlach geprägt. Hier liegen auch die Wurzeln der immer auf Körper und Raum gerichteten Arbeiten von Stefan Wewerka. Ausgebildet zum Architekten unmittelbar nach dem Krieg an der Hochschule der Künste, Berlin, hatte er schon früh einen unbedingten Willen zur Unabhängigkeit. Um nicht etwa zur Untermiete wohnen zu müssen, organisierte er 1948 mit Kommilitonen den spontanen Umbau einer kriegszerstörten Schule zu Studentenwohnungen, die den Anfang des vorbildlichen, ebenfalls von Wewerka mit konzipierten Studentendorfes Eichkamp bildeten. Leider beschränkt sich die in der aktuellen Ausstellung gezeigte realisierte Architektur auf den spielerischen, gleichwohl puristischen Tecta-Pavillon, der 1985 für die documenta 8 dort aufgestellt war, wo zwölf Jahre später die Schweine von Carsten Höller und Rosemarie Trockel grunzten.

Von Druckgrafik zu Zeichnungen und Aquarellen verdichtet sich die Art, wie das Denken Stefan Wewerkas aus dem Alltag ausbricht. Dabei greift er gerne Karikaturen auf: Mit dem verschobenen Relief einer Ledoux-Fassade, der schrägen Ladenfront oder den an Wilhelm Busch erinnernden, fast tanzenden Möbeln bringt der Künstler Dinge aus dem Gleichgewicht und verschafft sich eine eigene Sphäre. „Die Intimität eines gegenwartsbezogenen Raums“, schrieb Jean-Christophe Ammann unlängst zur Aktualität von Malerei, „als Resonanzraum meiner eigenen Dreidimensionalität.“

Wewerkas Exzentrik wird in den Stuhlskulpturen sichtbar. Nicht von ungefähr hat er das alltäglichste Möbelstück zerschnitten, gestaucht, in seine Einzelteile zerlegt und schräg gestellt. Mit den neu konfigurierten zwei- oder vierbeinigen Objekten entsteht eine Welt, in der das Gerade und Rechtwinkelige schal und abgestanden wirkt. Auch der statuarische Thron Karl des Großen aus dem Aachener Dom wurde nicht von solchen operativen Entwürfen verschont. Umgekehrt erweist sich der elegante, doch mit seinen drei Beinen recht invalide erscheinende Stuhl B 1 im Gebrauch ungleich vielfältiger als seine konventionellen Artgenossen.

Obwohl sein Sohn Philipp weniger zugänglich arbeitet, erkennt Stefan Wewerka in dessen Bildern den eigenen Sinn für Logik, Ökonomie und Präzision wieder. Vielleicht liegt es an der scharfen Beobachtungsgabe, die auch bei ihm den Umgang mit dem Alltäglichen prägt. Den stillen und konzentrierten Stefan findet man in der Ausstellung allein auf einem Portrait, das sein Vater Rudolf 1947 von ihm gemalt hat. Bereits hier ist der zwar gerundete, doch trotzend kantige Künstlerschädel unverkennbar, in dem Vorstellungen von konstruierten oder dekonstruierten Objekten wuchsen, Zeichnungen bis zum Wasserfleck transformiert wurden, in dem die Vorstellung eines in zwei Hälften geteilten und um 180 Grad gegeneinander verdrehten Erdballs entstand. Es ist die strikte Kindsköpfigkeit, die Wewerka nie abgelegt hat. MICHAEL KASISKE

„Wewerka – Tradition einer Künstlerfamilie“, bis 9. 9., Di.– So. 10–17 Uhr, Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Charlottenburg. Katalog 28 Mark