Liebe ist in der Luft

Gunnar fährt für Nick Cave Bus: Die Hasenheide als Treffpunkt für Rock ’n’ Roll-Geschichtenerzähler

von DETLEF KUHLBRODT

Im Mai, als es kurz Sommer war, saßen wir wieder auf Wiese 3 der Hasenheide. Wir hatten den halben Tag nur so herumgesessen, wie in einer Zigarettenreklame fürs Nichtstun. Dann kam Gunnar aus Göttingen vorbei. Früher war ich mal mit Gunnar zur Schule gegangen; eine Weile hatten wir uns nicht mehr gesehen und uns dann zufällig am frühen Morgen vor ein paar Jahren auf der „Fusion“ wiedergetroffen.

Damals war er noch Busfahrer für irgendwelche alternative Reiseunternehmen, nun hat er die Nick-Cave-Tour. Er ist der Busfahrer, er kennt die Playlist, und ich war stolz, dass ich Gunnar kannte, obgleich meine Nick-Cave-Begeisterung schon ziemlich lange her ist.

Tags zuvor hatten wir uns das erste der zwei Berliner Nick-Cave-Konzerte angeschaut. Es war ganz schön, bei „Mercy Seat“ liefen einem sogar ein paar Déjà-vu-Schauer über den Rücken. Nur schade, dass die Zuschauer die dritte Zugabe nicht mehr forderten. Da bezahlen die Leute über 60 Mark für eine Karte und geben gleich auf, wenn das Licht angeht! Ich versteh das nicht! Vielleicht meinen sie aber auch, nicht mehr so enthusiastisch sein zu müssen, gerade, weil sie so viel Geld bezahlt haben. Egal.

Nach dem Konzert war es ein bisschen wie in Roskilde: Wir hingen vor Gunnars Tourbus herum, tranken warmes holländisches Bier, die Nacht war mild, ein kleiner Hund streunte durch die Gegend. Nick Cave fuhr in einer teuren Limousine vorbei und ein lustiger australischer Roadie, der vor der Tour mit dem Kampfkiffen aufgehört hatte, wie Gunnar erzählte, kam dann zu uns, fragte, ob wir Deutsche seien, und zeigte uns ein Bild von Michael Schuhmacher mit Hitlerbart und Hakenkreuz auf der Stirn. Wir lachten alle herzlich und dachten, dass Hitlerwitze der Völkerverständigung dienen.

Nun war Gunnar in der Hasenheide und erzählte: Wie der Tourbus Anfang Mai in Dublin einem Brandanschlag zum Opfer gefallen war und er schnell nach Berlin fliegen musste, um dies und das zu klären. So hatte er zwei der 29 Konzerte verpasst. Gestern sei auch Wim Wenders beim Konzert gewesen, und der Manager habe die ganze Crew zum Kreuzberger Imbiss „Curry 36“ geschleppt, weil es dort die beste Currywurst der Stadt geben würde. Die Bad Seeds hätten sich beim Soundcheck für das Düsseldorf-Konzert mit „Love Is In The Air“ warmgespielt. Das war Gunnar wichtig, wahrscheinlich, weil er notorisch unter Liebeskummer zu leiden pflegt. Und weil er notorisch unter Liebeskummer zu leiden pflegt, findet er vermutlich Nick Cave und dessen liebeskranke Fans so toll. Er hätte das jedenfalls sehr gemocht und einen Musiker gefragt, ob sie den Hit von John Paul Young auch im Konzert spielen würden, und der hätte geantwortet, dass die Zeit noch nicht reif sei für so viel Liebe.

Dann musste er wieder zu seinem Bus. Wir blieben sitzen in unserer blöden Hasenheide, die wir westdeutschen Freunden immer als oberauthentischen Höhepunkt Berliner Lebenswelt zu präsentieren pflegen, auch weil wir uns in eine gewisse Aversion gegen unsere Stadt hineingesteigert hatten, die wir genau deshalb nie verließen. Ich dachte an Homer Simpson, der in einer Folge mit den Smashing Pumpkins auf Tour ist und sich als Festivalhöhepunkt eine Kanonenkugel auf die Wampe schießen lässt.

Ab und an rief mein Freund aus der wilden Welt des Rock ’n’ Roll an, um dies und das zu berichten. An der Prager Grenze hatte es zum Beispiel Probleme gegeben; ein Musiker der Band hätte kein Visum gehabt. Dann hätte der Mann an der Grenze „ganz nach oben“ telefoniert und gesagt, ein Musiker von „Nicolas Cage“ bräuchte noch ein Visum, und ob denn das ginge, und das ging dann auch.

In Prag wurde die Band übrigens vom Oberbürgermeister begrüßt, und Nick Cave bekam eine Medaille und ein Buch mit Postkartenabbildungen und einer Widmung des Bürgermeisters: „Thank you for your Songs!“ In Ljubljana hätten Frauen, nachdem sie von Nick Cave dazu aufgefordert worden waren, Unterwäsche auf die Bühne geworfen. Und die Unterwäsche hätten sie als Trophäe am Bus befestigt und wären damit rumgefahren.

Der lustige australische Roadie sei gerade nach Australien geflogen, weil seine Frau ein Kind bekam. Ungücklicherweise war er dann aber doch zu spät gekommen. Einer der deutschen Roadies sei früher mal in einer K-Gruppe gewesen und würde danach die Kanzler-Schröder-Tour machen. Es gäbe arge Unstimmigkeiten zwischen den deutschen und den ausländischen Crew-Mitgliedern, vor allem wohl weil die Deutschen, die in der Mehrzahl waren, fast nur Deutsch miteinander reden würden. Ein australischer Roadie hätte sich wie in einem deutschen Kriegsgefangenenlager gefühlt. Das hätte er vor einer die Tour dokumentierenden Kamera gesagt. Das deutete auf eine humoristische Inszenierung hin.

Manchmal klagte Gunnar auch. Es sei doch eine Gemeinheit, dass er als erfahrener Busfahrer bei solchen Touren nur 180 Mark am Tag bekommt, während bessere Lichtdesigner bis zu 1.500 Mark am Tag kriegen würden. Selbst Tontechniker bekämen mehr als doppelt so viel wie er. Grummel, grummel. In der Hierarchie der 20 Leute war er im unteren Drittel.

Ganz oben waren natürlich Nick Cave und Blixa Bargeld, die oft flogen. Nick Cave bestand darauf, dass ein Fernseher mit Fussballkanal in seiner Garderobe stehen müsse. Normalerweise war die Crew in zwei verschiedenen Hotels untergebracht. Manche mussten sich auch ein Zimmer teilen. Der Tonmanager der Band stand sozusagen auf einer sozialen Klippe. Einerseits durfte er auch im Hotel schlafen, in dem die Band untergebracht war, andererseits bekam er kein „King Size“-Zimmer. Das Konzert in Stockholm sei am besten gewesen, sagte Gunnar. Ljubljana war auch ziemlich gut. Da hatten die Zuschauer alle Lieder mitgesungen. In Mailand sangen sie auch mit. In Lyon, wo das Konzert fürs Fernsehen mitgeschnitten wurde, waren nur depressive stille Studenten. In Oslo war es eigentlich am schlimmsten. Da hatten die Leute „so komisch rhythmisch“ bei allen Liedern mitgeklatscht.

Am Abend des zweiten Berliner Cave-Konzerts war großer Lärm auf meinem Anrufbeantworter, eine Männerstimme, die sang: „Love Is In The Air“. Dann hörte es leider wieder auf und eine SMS kam vorbei: „Nick Cave und die Bad Seeds haben eben in Tilburg Holland ,Love is in the air‘ als Zugabe des Konzerts im 013 gespielt. Weiteres später.“ Toll. Fabelhaft. Die Tour war erst mal zu Ende, Gunnar kam ein paar Tage später nach Berlin, um den Bus zurückzubringen, und erzählte von den Begleitumständen, wie lang der Song gedauert und wie das Publikum darauf reagiert hatte.

Ich konnte es mir nicht richtig vorstellen, denn Nick Cave hat zwar alles mögliche, nur keinen Swing in der Stimme. Einer der Musiker, so Gunnar, hätte ihm danach gesagt, dass sie das Stück nur für ihn gespielt hätten. Nun war er sehr stolz. Dann fragte ich ihn, ob er während der Tour auch mal mit Nick Cave gesprochen habe. „Eigentlich nicht.“ Nur einmal, da hätte Nick Cave ihn gefragt, wo’s denn hier zur Bühne ginge.