In Ruhe die Räume zustellen

Mit einer genialen Idee rettet ARD-Chef Pleitgen die Fußballberichterstattung

Mit Tipp-Kick-Figuren werden die spannendsten Szenen auf grünem Filz nachgestellt

Fraglos hat sich die ach so heile Welt des deutschen Fußballs in den letzten Monaten grundlegend verändert. Seitdem engagierte Liebhaber des runden Plastikleders vor einem Dreivierteljahr entdeckt haben, dass der professionelle Berufsfußball teilweise nach kommerziellen, obendrein emotionslosen Gesichtspunkten betrieben wird, kämpfen die so genannten echten Fans für eine Resozialisierung ihres Volkssports.

Ein Ziel haben die Proteste bereits erreicht, die Straffung des Bundesliga-Spieltags: Von der kommenden Saison an beginnen sieben von neun Begegnungen wieder am Sonnabend um 15.30 Uhr, also punktgenau zur von alters her traditionsträchtigen Zeit. Doch der nächste Anschlag auf lieb gewonnene Gewohnheiten steht längst fest: Das gewinnorientierte Privatunternehmen Sat.1 verschiebt seine so genannte ausführliche Berichterstattung auf einen anderen sakrosankten Sendeplatz, nämlich 20.15 Uhr – ein Desaster für die so genannten wahren Fans. Nur gut, dass es die ARD gibt.

Denn die Vordenker bei der ARD wollen nun das Beste beider Welten miteinander verbinden. „Fußball wie in alten Zeiten“ verspricht ARD-Chef Fritz Pleitgen, der „eine Art Hörfunk-Berichterstattung“ in der „Sportschau“ nach 17 Uhr plant. „Wie im Radio“ werden die Reporter über die Spiele der Ersten Liga berichten. „Aber wir sind verpflichtet, unseren Zuschauern noch mehr zu bieten.“ Der Clou der öffentlich-rechtlichen Idee: Mit Tipp-Kick-Figuren werden die spannendsten Szenen nachgestellt, „auf den originalen Spielfeldern aus grünem Filz!“, wie Pleitgen versichert. Gerhard Delling und Günter Netzer befänden sich bereits im Trainingslager, um ihre Fertigkeiten an den Metallfiguren aufzufrischen: „Netzers Freistöße sind jetzt schon ein Gedicht“, verrät Pleitgen mit einem triumphierenden Lächeln. Seine Vision klingt reizvoll: „Wenn Dortmunds neuer Stürmerstar Koller dem Bayern-Torwart Kahn den Ball reinhaut, zeigen wir das. Dazu liefert unser Reporter seinen mündlichen Bericht aus dem Stadion.“ Offen sei nur, wie man Kahns gelegentliche Attacken auf Mitspieler oder gegnerische Stürmer naturgetreu nachstellen werde. Andererseits könnten moderne taktische Phänomene wie Überzahl in Ballnähe oder das Zustellen der Räume in aller Ruhe den Zuschauern dargestellt und erklärt werden. „Ein positiver Nebeneffekt, der unserem Bildungsauftrag voll und ganz entspricht.“ Pleitgen spricht von einer erweiterten, lebhafteren Berichterstattung anstelle des üblichen „steifen Ergebnisdienstes“. Bewegte Bilder aus dem Stadion seien selbstverständlich nicht geplant. Insofern sei das „keine Herausforderung“ für den Inhaber der Fernsehrechte, den Medienhändler Leo Kirch. Die ARD habe diese Idee schon früher gehabt, ungefähr zu der Zeit, als das Fürther Stadion in Playmobil-Stadion umbenannt wurde, aber bislang keinen Anlass gesehen, davon Gebrauch zu machen.

Allerdings gilt es derzeit, einige weitere technische Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Immerhin ist der Tipp-Kick-Ball nicht rund, sondern geometrisch ein Dodekaeder, verstößt insofern gegen eine der wichtigsten Herberger-Weisheiten. „Darüber wird in einer Arbeitsgruppe nachgedacht“, räumt Pleitgen ein, „aber da es für uns nicht wichtig ist, welche Farbe beim ruhenden Ball oben liegt, gestatten wir uns wahrscheinlich, eine glatte Kugel zu benutzen.“

Außer Delling und Netzer wird an jedem Spieltag ein Stargast die akkurate Umsetzung der vom leidenschaftlichen Günther Koch oder der charmanten Sabine Töpperwien übermittelten Spielzüge kontrollieren. „Dabei kann es sich selbstverständlich auch um eine Frau handeln. Jenny Elvers und Doris Schröder-Köpf zum Beispiel sind angefragt“, stellt Pleitgen auch in diesem Punkt neue Maßstäbe in Aussicht. Auch Berti Vogts, Lothar Matthäus, Erich Ribbeck und Peter Neururer hätten ihre Teilnahme zugesagt, ohne darum gebeten worden zu sein.

Die echten Fans sind elektrisiert. „Jawohl, das ist es, was uns vorschwebt: Schluss mit dem elektronischen Firlefanz, zurück zu den Wurzeln und zur Glaubwürdigkeit“, lässt sich die Initiative „PRO 15:30“ vernehmen. Doch eine Schattenseite deutet sich in Pleitgens Auslassungen ebenfalls an: „Eventuell kommen wir allerdings um eine angemessene Gebührenerhöhung nicht herum. Schließlich müssen wir 18 Spielerkader kaufen und jede einzelne Spielfigur in den Vereinsfarben anmalen“, gibt Pleitgen zu bedenken. Das werde durch mögliche Einnahmen aus der Trikotwerbung kaum aufzufangen sein. Außerdem, heißt es aus ARD-Kreisen, lasse sich Günter Netzer die Vorbereitungsphase durch einen achtstelligen Betrag vergüten.

Trotzdem: Es scheint so, als ob der Fußball in Deutschland eine Zukunftsperspektive gefunden habe; dass statt schnöden Ergebnisfußballs und mediokrer Showelemente wieder das Erlebnis und die echte Faszination eine Chance haben. Supersache.

DIETRICH ZUR NEDDEN