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: Mehr Hommage als Biografie: Cesar Luis Menotti

Lechter und rinker Fußball

Wohl kaum ein Trainer der jüngeren Vergangenheit hat im intellektuellen Diskurs über den Fußball eine so große Rolle gespielt wie Cesar Luis Menotti. Und das, obwohl seine Laufbahn nicht eben reich an Titeln ist. Vor dem WM-Sieg 1978 mit Argentinien, der ihn als Coach ins internationale Rampenlicht katapultierte, war Menotti 1973 mit Huracan Buenos Aires Meister geworden, danach holte er 1983 beim FC Barcelona den spanischen Pokal, auf seinen anderen Trainerstationen wurde er entlassen oder brach die Engagements selbst ab. Doch lässt sich, wie das Buch „Cesar Luis Menotti – Ball und Gegner laufen lassen“ des österreichischen Journalisten Harald Irnberger zeigt, gerade diese relative Erfolglosigkeit in das Gesamtkunstwerk Menotti einordnen. Die Verhältnisse, sie sind eben nicht so.

„Ich will gewinnen, weil meine Mannschaft besser gespielt hat, und nicht, weil sie das Spiel des Gegners verhindert hat“, hat der Trainer Menotti seine Idee vom Fußball einmal auf den Punkt gebracht. Und strikt ergebnisorientierte Kollegen „Söldner des Punktgewinns“ genannt. Da konnten Auseinandersetzungen mit geltungssüchtigen Präsidenten nicht ausbleiben. Menotti wollte stets ein offensives Spektakel bieten, weil er den Fußball als Kulturgut interpretiert, das in Wechselwirkung mit seinen Zuschauern gesellschaftliche Veränderungen zeitigen kann.

Bekannt wurde der 1938 in Rosario geborene Trainer insbesondere durch den politischen Rahmen, in den er diese Spielauffassung stellte. Menotti, der schon den WM-Titel 1978 als Fundamentalopposition gegenüber der argentinischen Militärjunta verstand, unterschied linken und rechten Fußball. „Beim Fußball der Linken spielen wir nicht einzig und allein, um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, um Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben, um als Menschen zu wachsen“, hat er geschrieben. Und dem gegenübergestellt: „Beim Fußball der Rechten ist der Spieler ein Werkzeug für den Sieg bzw. den Tabellenplatz.“

Besonders in Europa erzielte Menotti mit diesem Überbau beträchtliche Resonanz. Da seine Thesen mit einer strikt antikapitalistischen Haltung einhergingen, wurde er zum Kronzeugen der Kommerzialisierungsthese, wonach das Geld, respektive das unbedingte Streben nach Erfolg, dem Fußball seine Seele raube. Eine Sichtweise, die sich auch Menottis Biograf deutlich zu eigen gemacht hat; die Kapitelüberschrift „Der entartete Fußball“ kann durchaus für das ganze Buch stehen.

Harald Irnberger, ehemals Lateinamerika-Korrespondent und heute in Spanien lebend, hat mit Menotti gesprochen und eine Fülle von dessen Äußerungen zusammengetragen. Streckenweise liest sich das Buch wie eine kommentierte Ausgabe der gesammelten Zitate Menottis; überhaupt hat Irnberger keine klassische Biografie geschrieben, sondern mehr eine essayistische Hommage. Mehr als um Details aus Menottis Leben geht es ihm um dessen Fußballphilosophie, die er mit der Arbeitsauffassung anderer Größen der Zunft – Happel, Sacchi, Van Gaal, Capello und immer wieder Cruijff – in Verbindung setzt.

Zugute kommt Irnberger dabei seine Vertrautheit mit den argentinischen Lebensverhältnissen und dem spanischen Fußball; störend dagegen seine hoffnungslos repressionshypothetische Sicht auf die globalisierte Fußballwelt. Medien bedeuten bei ihm schnell „Massenverdummungskampagnen“, Menschen „dressierte Konsumfetischisten“ und Mannschaften „konturlose Söldnertruppen“. Warum aber Menottis stets elegant formulierte Klagen das europäische Unbehagen an der Modernisierung so perfekt bedienten und ob seine These vom linken und rechten Fußball einer zeitgenössischen Überprüfung standhält, diese Fragen bleiben zugunsten eines hartnäckigen „früher war alles besser“ unerörtert.

Dabei hat doch auch der Systemfußball eines Fabio Capello, den Irnberger als tendenziell „rechtes“ Maschinengebolze diffamiert, eine eigene Ästhetik hervorgebracht. Während der Sehnsucht nach der kreativen Spielerpersönlichkeit, zentrales Moment des vermeintlich „linken“ Fußballs, mittlerweile etwas Konservatives anhaftet. Ob der Intellektuelle Menotti, der seine Stelle als Trainer der argentinischen Nationalmannschaft mit einem Pablo-Neruda-Zitat antrat, wohl mit der Lyrik Ernst Jandls vertraut ist? Manche Leute meinen, hat der Wiener Literat geschrieben, lechts und rinks könne man nicht velwechsern. Werch ein Illtum!

MALTE OBERSCHELP

Harald Irnberger: „Cesar Luis Menotti – Ball und Gegner laufen lassen“. Werner Eichbauer Verlag, 176 Seiten, DM 39