Der Untergang des Abendlandes fiel aus

Treibt eine rot-rote Regierung die Unternehmen in die Flucht? In Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls nicht

BERLIN taz ■ Als die CDU den PDS-Mann Dieter Holtz zum Bürgermeister wählte, in Saßnitz auf der Ostseeinsel Rügen, schrieb man das Jahr 1994. In Mecklenburg-Vorpommern regierte Ministerpräsident Berndt Seite (CDU). Und der hatte eigentlich alles andere als Versöhnung mit den roten Socken im Sinn.

Aber auf kommunaler Ebene herrschten schon immer andere Gesetze: Ein Streit um ein paar Ferienwohnungen mit der parteilosen Gegenkandidatin, die die CDU eigentlich hatte unterstützen wollen – und schon waren alle Vorbehalte gegenüber dem Klassenfeind vergessen.

Sieben Jahre später ist PDS-Bürgermeister Holtz in Saßnitz immer noch am Ruder, ohne dass die 12.000-Einwohner-Stadt im wirtschaftlichen Chaos versunken wäre. In Schwerin regiert mittlerweile eine rot-rote Landeskoalition, und selbst in Berlin scheint eine Regierungsbeteiligung der PDS auf Landesebene wahrscheinlich. „Den Untergang des Abendlandes muss man deswegen nicht fürchten“, beruhigt Steffen Grunau von der Christlich-liberalen Wählergruppe Saßnitz seine Parteifreunde aus der Hauptstadt. „Die Sacharbeit mit der PDS funktioniert ideologiefrei“, hat der Wessi, seit 1995 auf Rügen, festgestellt. „Manche sind in ihrer Haltung wertkonservativer als die CDU.“

Nicht nur auf lokaler Ebene, in Saßnitz, wo die Streiter für eine sozial gerechtere Welt Bebauungspläne im Interesse der Unternehmer verabschieden und sogar die Übergabe der städtischen Kindergärten in private Trägerschaften schluckten. Auch auf Landesebene hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die PDS sich recht schnell von ihren sozialistischen Idealen verabschiedet, sobald sie die Verantwortung für leere Staatskassen mitträgt. Aktuelles Beispiel: Das Vergabegesetz, dem Mecklenburg-Vorpommern gestern auf Druck von PDS-Arbeitsminister Helmut Holter im Bundesrat die Zustimmung verweigerte. Das Gesetz soll den Staat verpflichten, Aufträge nur an Firmen zu vergeben, die nach geltendem Tarifrecht entlohnen. Damit, entgegnete Holter ganz im Sinne der Arbeitgeber, würden mittelständische Unternehmen in den Ruin getrieben, die sich diese Bezahlung nicht leisten könnten. Die Gewerkschaften verpacken ihr Entsetzen über den „harten Konsolidierungskurs“ in kühle Distanz: „Ich“, sagt Ingo Schlüter vom DGB Mecklenburg-Vorpommern, „befinde mich mittlerweile zu jeder Regierung in Opposition.“

Umso freundlicher fällt die Beurteilung durch die Wirtschaftsverbände aus. „Die Ostseeautobahn wächst täglich“, lobt der Geschäftsführer des Tourismusverbands, „und unsere Übernachtungszahlen erfreuen sich der bundesweit höchsten Zuwächse.“ Längst ist keine Rede mehr davon, dass Hotels und Pensionen im nordöstlichsten Bundesland dichtmachen müssten, weil kein Urlauber sich mehr in die Region der Genossen verirren würde. Im Gegenteil: Die Bauwirtschaft boomt, die Unternehmensverbände bescheinigen den PDS-Ministern „hohe Dialogbereitschaft und Fachkenntnis“, und die Handwerkskammer beschwert sich inzwischen darüber, „dass unter dieser Regierung bald mehr Existenzgründer gefördert werden, als wir brauchen können“. Inzwischen scheint klar: Nicht Koalitionen beeinflussen Standortentscheidungen der Wirtschaft, sondern die Rahmenbedingungen, die sie bieten. Dass die Arbeitslosigkeit mit knapp 18 Prozent trotz aller Bemühungen immer noch viel zu hoch ist, ist allen klar. Als alleiniges Defizit der Regierung aber wird diese missliche Lage nicht mehr gewertet. Mecklenburg war schon immer ein strukturschwaches Land. Und das, sagt der Geschäftsführer der Unternehmensverbände, ist „unabhängig von der Parteienlandschaft“.

HEIKE HAARHOFF