Der Mann geht, der Blues bleibt

John Lee Hooker: „Wenn ich abtrete, sollen sich die Leute an einen patenten Menschen und einen guten Bluesmann erinnern“

Der Mann

Der „Boom Boom Room“, sein nach einem seiner bekanntesten Songs benannter Livemusik-Club, steht zwar in San Francisco, an der Ecke Fillmore und Geary, auf altem Flower-Power-Terrain also. Und California ist außer gelb auch blau – auch auf dem Nummernschild zu lesen, neben dem er 1991 mit seiner geliebten Epiphone-Gitarre und in Sternchensocken lässig auf einer Oldtimer-Stoßstange für sein Album „Mr. Lucky“ posierte.

John Lee Hooker war gewiss eine Heimat fern der Heimat vergönnt. Doch das Herz seiner Wiege Clarksdale, Mississippi, hat nie aufgehört in seiner Musik zu schlagen, schön stoisch immer im Boogie-Takt. Mehr noch: Die enervierende, erregende Monotonie seiner besten Beats und Stomps, die Trance-Qualitäten seiner heiser-rauen, mehr gemurmelten als gesprochenen Vocal Ad-Libs legten sogar eine Standleitung zurück zu Mutter Afrika.

Don’t turn me from your door

Ali Farka Touré, der große Gitarrist aus Mali, mochte bezeichnenderweise nicht glauben, dass da ein US-Amerikaner am Werk sei, als er seine erste Hooker-Platte hörte. Woraufhin Hooker, der nie einen Fuß auf afrikanische Erde setzte, 1998 in einem Interview mit dem US-Rolling-Stone die klassische Replik parat hatte, er wisse nur, „dass der Blues da war, als ich zur Welt kam“. Die meisten sagen, das war im August 1917. Hooker selbst sagte dem Spiegel, es sei 1920 gewesen.

Jedenfalls war er gleich da, der Blues, in einer Großfamilie mit elf Kindern, zwischen Baumwollfeldern und Kirchgang, als Alltagskrücke und Ausweg. John Lee Hooker führte dieser Weg schon früh nach Memphis, später nach Cincinnati und Detroit, wo er jenen Stil formte, der über Jahrzehnte prägend wurde wie nur wenige andere, eine archaischere Variante des Boogie-Woogie, die gern auf fancy chords verzichtete.

1948 wurde der Gaul dann von der Koppel gelassen: „Boogie Chillen“, seine erste Schallplattenaufnahme überhaupt, wurde gleich ein Hit und später zum Bar-Band-Standard. Er selbst nahm die Nummer 1998 zum 50. Geburtstag noch einmal für sein letztes Album, „Best Of Friends“, auf.

Bis heute hat John Lee Hooker der Welt zwischen 100 (minimal) und 250 (maximal) Platten hinterlassen, so genau weiß das niemand, er selbst wohl auch nicht. Seine Identität geriet aber auch dann kaum in Gefahr, wenn er unter diversen, auch irreführenden Pseudonymen wie Delta John oder gar Birmingham Sam arbeitete. Sein Kunststück bestand darin, sich auch in mancher Assimilation immer das entscheidende Stück Hooker-Boogie bewahren zu können. Den elektrischen Blues der 1950er-Jahre befeuerte er mit Muddy Waters und Howlin’ Wolf entscheidend.

Doch als Anfang der nächsten Dekade das Folk-Blues-Revival ins Rollen kam, zog er gern auch durch New Yorker Coffeehouses, im Vorprogramm damals Bob Dylan. Auf der anderen Seite des Atlantiks hingen von den Yardbirds bis zu den Rolling Stones fast alle jungen Blues-Adepten an seinen Licks und Lippen.

Im günstigsten Fall war es ein Geben und Nehmen über Jahrzehnte, so wie bis weit in die 1990er hinein mit Van Morrison. Auch profitierte Hooker 1970, beim gemeinsamen Album „Hooker And Heat“, von der Woodstock-Popularität der Canned Heat („Goin’ Up The Country“); fast zwanzig Jahre später brachte Hooker die US-Band, deren Stern längst bis in die Niederungen deutscher Kleinlabel gesunken war, auf seinem Album „The Healer“ unter.

Über die Zahlungsmodalitäten dieser letzten gemeinsamen Session ist nichts bekannt. Im ersten Anlauf soll Hooker laut Canned-Heat-Drummer Fito de la Parra auf die Frage, ob er auch für ein Doppelalbum zur Verfügung stehe, geantwortet haben: „Dann will ich aber auch doppeltes Geld sehen.“

I’m a pilgrim and a stranger

Die dicken Schecks flatterten ihm aber erst jenseits der 70 ins Haus, nachdem sich die Hooker-Renaissance mit einem Auftritt im Blues-Brothers-Film und als Filmmusiklieferant für Steven Spielberg („Die Farbe Lila“) angedeutet hatte.

Der große kommerzielle Erfolg mit „The Healer“ war zugleich auch eine Quintessenz seiner Karriere: Klar, Carlos Santana hatte den Song geschrieben, und seine Gitarre dudelte vielleicht ein bisschen zu fürsorglich durch die Gegend. Doch ohne das heisere Grummeln des Meisters wäre die heilsame Wirkung kaum eingetreten. Es gab einen Grammy, später, 1998, noch gleich zwei für das Album „Don’t Look Back“ und letztens noch einen fürs Lebenswerk.

Hooker schaffte sogar das Entrée in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame, und einen Stern auf Hollywoods „Walk of Fame“ gönnten sie ihm auch noch. An eine Wiedergeburt jenseits der kommerziellen mochte John Lee Hooker aber nie so recht glauben.

Er habe, sagte er dem US-Rolling-Stone, „jedenfalls noch keinen kennen gelernt, der schon mal tot war“, und empfahl daher den Genuss im Hier & Jetzt und Nächstenliebe schon auf Erden.

„Wenn ich einmal abtrete, wünsch ich mir nur, dass sich die Leute an einen patenten Menschen und guten Bluesmann erinnern.“ Das sollte kein Problem sein.

Travellin’ thru this world alone

John Lee Hooker ist am Donnerstag in seinem Haus in San Francisco im Schlaf gestorben. Freunde und Familie wachten an seiner Seite, darunter auch Tochter Zakiya, die sich selbst 1996 mit dem Album „Flavors Of The Blues“ schon in die Nachfolge des Vaters gewagt hatte.

JÖRG FEYER

Der Blues

Die Geschichte des Blues lässt sich bereisen. Man muss nur dem Highway 61, in New Orleans beginnend, in den Norden folgen. Der Blues entstand Mitte des 19. Jahrhunderts im Mississippidelta, zog dann flussaufwärts, wurde spätestens in St.Louis urbanisiert, traf auf Gospel und öffnete die Geschichte für den Soul und hatte vorher schon in Memphis seine Hassliebe mit Country & Western begonnen, aus der der Wechselbalg Rock ’n’ Roll entstand.

Die Geschichte des Blues ist aber auch die Geschichte eines gesellschaftlichen Umbruchs. Nach dem Ende des US-amerikanischen Bürgerkriegs waren die Sklaven zwar offiziell freie Bürger, aber sie fielen auch aus dem sozialen Netz, das die Sklaverei immerhin geboten hatte. Die Afroamerikaner wurden zu Individuen und konkurrierten mit weißen Tagelöhnern um die wenige Arbeit. Aus den kollektiv vorgetragenen Work-Songs der Zuckerrohrfelder entstand das zwölftaktige Blues-Schema, in dem das Call-and-Response-Prinzip der Work-Songs zum Monolog wird. Ansprechpartner des Bluesmanns, des einzeln herumreisenden Musikers, ist nicht mehr das Publikum, sondern meist die Geliebte. Der Blues wurde zunehmend zum Klagegesang.

Die Geschichte des Blues ist aber auch eine Geschichte individuell tragischer Schicksale. Die Namen der meisten der frühen Bluesmusiker sind verloren gegangen, aber auch mittlerweile berühmte Pioniere wie Blind Lemon Jefferson, Robert Johnson oder Leadbelly konnten kaum von der Musik leben, landeten im Gefängnis, bekamen ein paar Dollar oder eine Flasche Schnaps für Plattenaufnahmen und starben in Armut, während andere an den Tantiemen ihrer Songs verdienten.

Tatsächlich gibt es nur wenige Bluesmänner wie John Lee Hooker, Howlin’ Wolf, Muddy Waters oder den noch ein paar Jährchen jüngeren B. B. King, die lange genug lebten, um von ihrer Musik schließlich doch noch gut leben zu können. Das große Geld machten nur die Plattenfirmen und später weiße Musiker wie Eric Clapton oder John Mayall, die den Blues massenwirksam ausdünnten.

Auch wenn Hooker bereits mit seinen ersten Aufnahmen kleine Hits landete, in seiner Jugend musste der Ausreißer noch als Platzanweiser im Kino, als Automobil- und Stahlarbeiter jobben. King arbeitete sogar noch als Farmarbeiter. „Musik, Essen und Frauen“ seien die wichtigsten Dinge im Leben, hat Hooker einmal gesagt. Er und die anderen Pioniere brachten den Blues als schmerzhaft ursprüngliche Ausdrucksform menschlicher Gefühle in die Welt, und aus dieser Ursuppe lässt sich nahezu das gesamte Spektrum der populären Musik ableiten: vom Jazz bis zum Rock, Soul und R&B sowieso, aus deren Traditionen sich nun HipHop und selbst der Teenie-Pop dieser Tage speist.

Got no place to call my own

Alles, wirklich alles ist undenkbar ohne den Blues: Grateful Dead improvisierten stundenlang über Blues-Schemata; die Rolling Stones, der Prototyp der Rockband, coverten auf ihrer ersten Platte ausschließlich Blues-Standards. Auch die elektrifizierte Gitarre des Rock ist eine Idee aus dem Blues, eine, die nicht zuletzt auch Hooker popularisierte.

Der womöglich größte Rockgitarrist aller Zeiten, Jimi Hendrix, ist eigentlich ein Bluesgitarrist. Rap, der Sprechgesang des HipHop, ist auch nur eine sehr avancierte Weiterentwicklung des Talking Blues. THOMAS WINKLER