kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Rollstuhlrugby

Man weiß nicht viel über die leistungsfördernde Wirkung von rotem Schampus und Schokoriegeln im Wettkampfsport. Und wenn schon, hier in der Sporthalle der Marzahner Unfall-Klinik wäre das auch nur von bedingtem Interesse. Es gibt Wichtigeres: Einer der Ihren, Andre Leonard, fährt heute zum Sichtungslehrgang der Nationalmannschaft, außerdem wird er auch noch 25. Also, warum nicht das Training unterbrechen und Sekt schlürfen?

Überhaupt pflegt man beim Rollstuhlrugby einen eher lässigen Umgang mit sich und seinem Sport. „Keine Panik, die meisten von uns haben sich eh schon einmal im Leben den Hals gebrochen. Was Schlimmeres kann nicht passieren“, hatte der australische Nationalspieler Brad Dubberley einst einen verdutzten Beobachter beruhigt, der sich gewundert hatte, wie oft es die Spieler bei diesem Behindertensport aus ihren Stühlen schleudert.

Auch beim Training der Berlin Raptors knallt es, so man nicht gerade eine Schampuspause einlegt, ganz ordentlich. „Mörderball“, so Coach Andreas Jirka, nannte man das Spiel in seinen Anfangstagen. Aber damals, das war vor 24 Jahren, kannte man es auch nur in Kanada. Dort hatten einige Rollstuhlfahrer seinerzeit genug von den gut meinenden und rücksichtsvollen Behindertensportarten – und auch vom Rollstuhlbasketball, bei dem Tetraplegiker, also Querschnittsgelähmte, bei denen auch die Bewegung der Hände eingeschränkt ist, stets im Nachteil waren.

Also wurde nicht mehr auf Körbe geworfen und der schwere, unhandliche Basketball gegen einen Volleyball eingetauscht. Ziel ist es, mit diesem die acht Meter breite Grundlinie des Basketballfeldes zu überqueren. Das versuchen pro Team vier Spieler. Die Hauptarbeit besteht aber darin, mit den tiefer gelegten und krummachsigen Sportstühlen den ballführenden Mitspieler frei- und den angreifenden Gegner abzublocken. Dabei krachen die Stühle schon mal laut gegeneinander.

Diese etwas andere Art des königlichen Spiels wurde schnell in den angloamerikanischen Ländern populär, erreichte 1992 Deutschland, drei Jahre später wurde bereits die erste Meisterschaft ausgespielt. Heute handelt es sich um den Rollstuhlsport mit den höchsten Zuwachsraten, in Deutschland dribbeln und passen derzeit rund 200 Spieler nach den Regeln der Erfinder Duncan Campbell und Gerry Terwin. Im letzten Jahr war Rollstuhlrugby erstmals olympisch. Die deutsche Mannschaft musste in Sydney aber gegen Kanada früh die Segel streichen.

In Berlin fing man erst vor drei Jahren mit dem rüden Sport an. Michael Fiddeke ist seit Beginn an dabei und sehr zufrieden mit der Entwicklung seither. Zwar hatte es bei den ersten Versuchen auf Wettkampfebene einige herbe Niederlagen gesetzt, entmutigen ließ man sich jedoch nicht. Inzwischen haben sich die Berlin Raptors in der Basisliga Nord etabliert und können sogar in die zweite Liga aufsteigen – wenn sie denn wollen. Michael Fiddeke würde gern: „Klar, man will ja was erreichen.“ Andere aber wollen nicht, und so muss demnächst eine Abstimmung Klarheit darüber schaffen, ob man die Option wahrnehmen soll. „Es ist eben so“, sagt Andreas Jirka, der die Raptors gemeinsam mit Irina Voltmer trainiert, „hinter allem soll natürlich die Idee stecken, den Alltag und die Lebenssituation behinderter Menschen zu verbessern“. Das heißt: Wer mittun will, darf mittun. Und wenn man auf Turniere fährt, bekommt der schwächere Spieler genauso seine Einsatzzeiten wie Bald-Nationalspieler Andre Leonard. HOLGER STRÖBEL

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 7 Punkte