Arche mit Apfelbaum

aus Bonn SABINE HERRE

Die Italiener sind den Deutschen beim Essen mal wieder weit voraus. Über 1.000 vom „Aussterben“ bedrohte Lebensmittel hat Slow Food Italien inzwischen in seine „Arche“ aufgenommen. Und jeden Tag gibt es neue Vorschläge. In Deutschland sind es gerade mal vier.

Immerhin: Diese vier wurden am Wochenende in Bonn beim vierten Slow Food Festival zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert.

Wobei das Wort „präsentiert“ nicht ganz präzise ist. Denn zurzeit gibt es eben keinen Händler, der den „Angeliter Tannenzapfen“, eine Kartoffelsorte, oder die Türkischen Erbsen in seinem Sortiment hat. Und der „Finkenwerder Herbstprinz“ reift, wie der Namen schon sagt, im Herbst. Was den leicht enttäuschten Besuchern der Präsentation der Arche-Passagiere blieb, war der Saft, der aus diesen Äpfeln gewonnen wird.

Das Problem der Deutschen ist – wie könnte es anders sein? – ein theoretisches. Mehr als zwei Jahre lang diskutierte man darüber, was man denn nun eigentlich in die Arche aufnehmen soll. Pflanzen und Tiere? Aber dafür haben ja bereits Tier- und Umweltschutzorganisationen rote Listen erstellt. Schließlich besann man sich auf das, wovon man am meisten versteht. Das Essen.

Doch die Arche soll nicht einfach ein Museumsschiff für seltene Lebensmittel sein. Slow Food will vielmehr dafür sorgen, dass die Arche-Passagiere wieder eine Chance auf dem Markt haben. Und so sollen Produzenten, Händler, Gastwirte, Umweltschutzvereine und natürlich Slow-Food-Mitglieder regionale Förderkreise bilden, die sich, so Alexander Wurthmann, der für den Slow-Food-Vorstand im Arche-Beirat sitzt, vor allem mit Fragen des Marketing befassen.

In Italien gibt es bereits 130 solcher Promotionteams. Aus Italien, aus der Toskana, stammt auch die Geschichte des Lardo di Colonatta. Eine Geschichte, die zeigt, das die Passagiere nicht bis in alle Ewigkeit auf der Arche bleiben müssen. Jahrhundertelang legten die Bauern, die rund um die Marmorsteinbrüche von Carrara lebten, ihren Speck in Marmorlöcher, bedeckten ihn mit Gewürzen und Salz und ließen ihn so reifen. Marmor, das war für sie kein kostbares Gut, Marmor war Teil ihres Alltags.

Dann jedoch kamen die Hygieniker, nationale wie europäische, und trafen die kaum überraschende Feststellung, dass diese Art des Haltbarmachens in keiner Weise mit den Vorschriften für die Lebenmittelproduktion übereinstimmte.

Drei Jahre lang kämpfte Slow Food, und schließlich ge-lang es, die Behörden zu überzeugen, dass eine Marmorwanne ja eigentlich nichts anderes ist als ein Raum mit Kacheln. Und solche Räume, die kannten die Beamten.

Doch nun nimmt die Geschichte eine ungewöhnliche Wendung. Dieser weiße, fette Speck, den jeder Deutsche zunächst mit Misstrauen betrachtet, weil er nur grünen Speck zum Spicken kennt, war durch den Streit um den Lardo ein Star in ganz Italien geworden.

Die Preise stiegen, die Bauern aus Carrara konnten gar nicht so viel Lardo herstellen, wie gegessen wurde. Und so begann eine fast schon industrielle Produktion. In Neapel und Mailand, auf den italienischen Inseln und in den Alpen, überall wurde Lardo di Colonatta hergestellt.

Weshalb der Förderkreis des Specks nun einen neuen Kampf führt. Für ein besonderes Siegel, das garantiert, dass Lardo di Colonatta eben wirklich aus Colonatta stammt. Neben den Hygienevorschriften war es vor allem der Zwang zu immer höherer Produktivität, der viele Arche-Passagiere (fast) vom Markt verdrängte.

Bestes Beispiel hierfür ist der Finkenwerder Herbstprinz. Während früher in der bäuerlichen Hochstamm-Obstwirtschaft 300 Bäume auf einem Hektar standen, stellte die „industrielle“ Anbauweise 3.000 Spindelbäumchen hin.

Die Folge: Die Früchte des Prinzen wurden riesig, das Fruchtfleisch wurde locker und wenig haltbar. Essen wollte ihn nun keiner mehr. Die Gefahr, dass dem Apfelbaum bei guter Betreuung auf der Arche das gleiche Schicksal wie dem Lardo widerfährt und er auf einmal in ganz Deutschland angepflanzt wird, besteht jedoch nicht. Denn der Herbstprinz stammt aus Finkenwerder, von einer Insel im Elbstrom bei Hamburg, und für sein typisch sauersüßes Aroma braucht er den kühlen norddeutschen Sommer. Das milde Klima des Südens würde ihm wohl seinen ganzen Biss nehmen. Die regionale Bedeutung, das ist dann auch eines der Kriterien, die eine Speise erfüllen muss, um in die Arche aufgenommen zu werden. Und sie ist einer der Gründe dafür, dass sich auch Bärbel Höhn für die Idee der Arche stark macht.

Die Landwirtschaftsministerin aus Nordrhein-Westfalen eröffnete nicht nur das Slow-Food-Festival in Bonn, sie denkt auch über den Bau einer eigenen NRW-Arche nach. Überhaupt haben BSE und MKS Slow Food zu plötzlicher Popularität verholfen. 4.500 Mitglieder zählt der Verein inzwischen, und jeden Monat kommen an die hundert dazu. Dadurch verändert sich jedoch auch Slow Food selbst. Das Spektrum der Mitglieder wird breiter, die Gründe für einen Eintritt werden politischer.

Das zeigte sich besonders deutlich bei einer Podiumsdiskussion, die man gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stitung NRW zur „Zukunft der Ernährung“ durchführte. „Wie kann man den Verbraucher dazu bringen, gesunde Lebensmittel zu kaufen?“, lautete die etwas pädagogische Frage. Die Diskutanten mühten sich redlich. Den ganzen Ekel der industriellen Lebensmittelproduktion müssten die Journalisten immer wieder zeigen – und so die Menschen richtig erschrecken, lautete eine Variante. Aufklären, informieren die andere.

Von den Segnungen der Bioproduktion und nicht mehr von Genuss war die Rede. Dass biologische Lebensmittelherstellung jedoch nicht die einzige Alternative zur industriellen sein kann, weiß jeder, der schon mal das Vergnügen hatte, einen Leberkäse aus Tofu zu essen. Und dass man den Verbraucher am besten bekehrt, indem man ihn gute Lebensmittel probieren lässt, konnte man am Wochenende auf dem Bonner Münsterplatz erleben.