Den Haag vor Augen

In spätestens drei Wochen soll Slobodan Milošević dem Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert sein

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Die jugoslawische Bundesregierung ebnete am Samstag mit einem Dekret den Weg für die Zusammenarbeit mit dem Haager UN-Tribunal über die im ehemaligen Jugoslawien begangenen Kriegsverbrechen. Die bisher umstrittene Auslieferung der vor dem Tribunal angeklagten jugoslawischen Staatsbürger, also auch des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević, soll spätestens in drei Wochen erfolgen.

Das Regierungsdekret bringt jedoch für die regierende „Demokratische Opposition Serbines“ (DOS) einige innenpolitische Risiken mit sich. Die Sozialistische Volkspartei (SNP) aus Montenegro – im Bundesparlament Koalitionspartener der DOS und vor der Wende in Serbien im Oktober des Vorjahrs Verbündete von Milošević – hatte monatelang ein von der DOS vorgeschlagenes Bundesgesetz für die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal blockiert. Nachdem die Minister der DOS das Regierungsdekret angenommen hatten, boten Bundespremier Zoran Žižić und sechs Minister der SNP den Rücktritt an. Die Regierungskrise könnte vorgezogene Parlamentswahlen oder gar den Zerfall der brüchigen Föderation zwischen Serbien und Montenegro auslösen.

Die aus achtzehn grundverschiedenen Parteien zusammengestellte DOS demonstriert zwar bei allen wichtigen Entscheidungen vorbildliche Einigkeit, doch ist die Rivalität zwischen Jugoslawiens Präsidenten Vojislav Koštunica und Serbiens Premier Zoran Djindjić ein offenes Geheimnis. Während Koštunica, wie viele Bürger Serbiens, das Haager Tribunal als eine „politische Institution der amerikanischen Administration“ kritisierte und die Auslieferung jugoslawischer Staatsbürger in Frage stellte, vertritt Djindjić eine „uneingeschränkte“ Zusammenarbeit mit dem Tribunal.

Die serbische Regierung versucht in einer Medienkampagne, die Bürger von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem Tribunal zu überzeugen. „Entweder Milošević oder wir!“, erklärte der stellvertretende Bundespremier Miroljub Labus. Das Regime Milošević habe ein ruiniertes Serbien hinterlassen. Ohne die internationale finanzielle Unterstützung, ohne Auslandsinvestitionen und günstige Arrangements mit Weltbank und IWF würde der Staat bald nicht mehr in der Lage sein, Gehälter und Renten auszuzahlen, die Außenschulden würden in 20 Jahren über 70 Milliarden Dollar betragen. Die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal dürfe man nicht als ein Ultimatum betrachten, sondern als eine von vielen Verpflichtungen, denen Jugoslawien als Mitglied der UN nachgehen müsse.

„Die Jagd auf die Serben beginnt!“, verkündet dagegen die Sozialistische Partei Serbiens (SPS), die formal immer noch von Slobodan Milošević angeführt wird. Als einen „verfassungswidrigen“ Akt bezeichnete der hohe SPS-Funktionär Zivadin Jovanović das Regierungsdekret über die Zuasmmenarbeit mit dem Haager Tribunal. Die DOS habe die „Kapitulation des Landes“ beschlossen. Die SPS rief ihre Anhänger zu Massenprotesten gegen die Auslieferung von Milošević und anderen jugoslawischen Staatsbürgern auf.