Bumm Bumm Seele

Wann ist ein Mann ein Mann? Etwa wenn er eine Trommel in der Hand hält? In der Friedrichshainer Trommelgruppe „Trommelfeuer“ wollen vor allem Männer endlich mal wieder zu sich selbst finden

von ANDREAS HERGETH

Kaum ist es wärmer geworden, geht es in den Parks wieder los: Trommeln, was das Fell hält. Das klingt mal holprig und nervig, mal professionell und angenehm, vor allem aber eins: rhythmisch. Genau darum aber geht es in Berlins jüngster und wohl einzigartiger Trommelgruppe nicht.

Schon der Name „Trommelfeuer“ steht für ein Konzept, das nicht bloßes Einstudieren von Stücken oder einen Auftritt beim Karneval der Kulturen der Welt zum Inhalt hat. „Riskiere DICH zu finden!“ steht auf den roten Flyern. Die Trommeltruppe der anderen Art – eine reine Männergruppe – hat sich sinnigerweise und doch per Zufall im „RAW Tempel“ an der Warschauer Brücke in Friedrichshain einen Raum gesucht, in dem ansonsten eine Percussionschule probt. René Galle, der „Trommelfeuer“ ins Leben gerufen hat, begrüßt die Männer. „Riskiert eure Wildheit, aber auch die leisen, sanften Töne.“ Dann wandert die Frage „Wie geht es dir?“ von Mann zu Mann. Diese reden sich im wahrsten Sinne des Wortes Sorgen und Nöte von der Seele.

Galle, von Beruf Heilerziehungspfleger und seit Jahren in therapeutischen Prozessen aktiv, gibt Feedbacks. „Hier kannst du Kraft und Mut für den Weg, deine Gefühle zu finden, tanken.“ Kraft soll auch aus dem Wacholder kommen, der verräuchert wird. „Seit Urzeiten gilt die Beere als stärkendes Element“, erklärt René Galle, der mit einer Bussardfeder den Rauch den einzelnen Teilnehmern zufächert.

Wie er dabei vor den Männern hockt, hat er was von einem indianischen Schamanen. Nur seine stachlig hochgegelten Haare passen nicht ganz dazu. „Ich biete den Raum“, erklärt der 28-Jährige, „wo Mann sich einfach so zeigen kann, wie er ist, oder das entdecken kann, was noch in ihm schläft.“ Um das „wahre Ich und die Gefühle und Klänge des Herzens aufzuwecken“, hat der Berliner intuitiv einen alten Weg gewählt – den Klang der Trommel.

Was nach der Räucherung folgt, mutet archaisch an. Galle beginnt zwar mit dem Trommeln, ist aber keineswegs so etwas wie der Vortrommler. Die Gruppe steigt ein. Jeder auf seine Weise, ohne vorherige Absprache. Alles ist möglich, auch Gesang oder Tanz. Die Trommeltöne kommen einfach aus dem Innern, hier trommelt sozusagen die Seele. Mal sanft, dann wieder wild, mal leiser, dann kräftig.

Der kahl geschorene Jörg (33) hat eine Trommel der Marke Eigenbau dabei. Erst sitzt er und schlägt das Fell mit den Händen. Dann läuft er auf und ab, nimmt die Schlegel zur Hand und entlockt seiner Trommel experimentell immer wieder neue Töne. Dietmar spielt auf einer riesigen Pauke, die er in den Achtzigerjahren auf einem Dachboden in Mecklenburg gefunden hat. Das einst lädierte Instrument ist eigens für die Trommelgruppe repariert worden. „Endlich wird sie wieder gespielt, gleichsam geheilt“, freut sich der 53-Jährige. Letzteres trifft wohl auch auf ihn selbst zu. Gedankenverloren sitzt er mit geschlossenen Augen vor seiner Pauke und wirkt traurig. Seine Finger tasten über das Fell, als wollten sie es liebkosen. Dann kribbeln sie und trommeln, später kommen Schlegel dazu. Die Schläge werden lauter, dann leiser und so fort. Immer wieder huscht ein Lächeln über seine Lippen. Plötzlich singt Dietmar mit kehligen Lauten, die anderen stimmen ein. Der Raum scheint aufgeladen mit der Energie von ein paar trommelnden Männern. Was sie bewirkt, muss jeder Einzelne für sich selbst fühlen.

Trommelfeuer, jeden Di, 20–22 Uhr, RAW Tempel e. V., Revaler Straße 99, Friedrichshain