Olympia spaltet Taiwan

Das verlockende Angebot Pekings, Taiwan an den olympischen Wettkämpfen zu beteiligen, erweist sich für die eigenständige Insel als Geschenk mit großen Tücken

TAIPEH taz ■ Schon als Kind hatte Li Jiaming einen Traum: einmal Olympische Spiele aus nächster Nähe erleben. Jiaming ist heute 25 und studiert Wirtschaftswissenschaften in Taipeh. „Olympia ist das größte Ereignis überhaupt“, meint er. „Und wir Chinesen wären wahnsinnig stolz, wenn die Spiele endlich einmal in China stattfinden.“ Am 13. Juli will das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Moskau die Wahl zwischen Peking, Toronto, Paris, Istanbul und Osaka treffen. Chinas Hauptstadt werden die besten Chancen eingeräumt.

Für Jiaming ist es keine Frage, dass er Pekings Olympiabewerbung unterstützt. Er war auch dabei, als vergangene Woche in Taipeh 4.000 Menschen zum „Zehn-Städte-Lauf“ starteten. Der Lauf soll Ende des Monats in Peking eintreffen. Die Veranstaltung ist eine kleine Sensation: Für kurze Zeit wurden die Streitigkeiten um den Status Taiwans beiseite gelassen, um gemeinsam für Olympische Spiele in China zu werben. In Taipehs Straßen herrschte Karnevalsatmosphäre. „Peking, go, go, go!“, sangen die Zuschauer. Einige Politiker waren schockiert. Niemals hätten sie solche Begeisterung für ein Anliegen des Erzrivalen erwartet. Nur 20 Anhänger von Taiwans Unabhängigkeitspartei demonstrierten dagegen. „Was hat Pekings Olympiabewerbung mit uns zu tun?“, fragte ein Demonstrant. „Es könnte der Eindruck entstehen, als seien wir ein einziges Land.“

Peking hat mit den Olympischen Spielen einen Keil in Taiwans Gesellschaft getrieben. Das Bewerbungskomitee hat angeboten, als „Zeichen der Verständigung und des guten Willens“ einige der Wettbewerbe in Taiwan durchzuführen. Das Regelwerk des IOC sieht aber vor, dass die Wettkämpfe nur innerhalb des Landes der ausrichtenden Stadt durchgeführt werden dürfen. Für die Volksrepublik China ist das kein Problem, denn für sie ist Taiwan eine abtrünnige Provinz und fester Bestandteil des eigenen Territoriums.

Taiwans Regierungspartei träumt allerdings von der Unabhängigkeit der Insel. Durch Pekings Schachzug haben die Politiker in Taipeh jetzt ein Problem. Aus taktischen Überlegungen müssen sie der Bevölkerung die beliebten Spiele verweigern. Aber wie soll die Regierung erklären, dass sie die dringend benötigten Investitionen verschmäht, die mit den Spielen verbunden sind?

Taiwans offizielle Linie lautet: Wir unterstützen Pekings Bewerbung, aber Wettbewerbe in Taiwan sind ausgeschlossen. Ein Großteil der Bevölkerung und auch viele Politiker sehen das jedoch anders. Jiaming sagt von sich, er sei Chinese, auch wenn er keinesfalls von den in Peking regierenden Kommunisten beherrscht werden möchte. Die Taiwaner sind gespalten. Viele haben noch enge emotionale Bindungen an das Mutterland China. Bis vor wenigen Jahren war Chinas Einheit oberstes Ziel der taiwanischen Politik. Noch heute lautet Taiwans offizieller Name „Republik China“.

Andere verfolgen nach dem Motto „Taiwan zuerst“ eine vorsichtige Politik der Unabhängigkeit. Präsident Chen Shui-bian gewann im vergangenen Jahr mit dieser Strategie die Wahlen. Mittelfristig führt schon aus wirtschaftlichen Gründen für Taiwan kein Weg an einer engeren Zusammenarbeit mit dem Festland vorbei.

Die Kommunisten in Peking wissen: Eine wirkliche Vereinigung gibt es nur auf friedlichem Weg. Jahrelang übte Peking militärischen Druck aus, womit das Gegenteil des Erwünschten bewirkt wurde. Denn als China Raketen über Taiwan hinweg ins Meer feuerte, konnten Taiwans Politiker die Bevölkerung leicht für die Idee der Unabhängigkeit begeistern und zugleich den Status quo faktischer Unabhängigkeit unwidersprochen betonen. Doch für olympische Wettbewerbe in Taiwan sind jetzt viele bereit, ihre Prinzipien über Bord zu werfen. CHRISTIAN BAHLMANN