prima leben und sinn suchen als journalist

Wir elenden Skribenten

Der Abend war prima. Wir hingen so herum in der Kreuzberger Wohnung eines Freundes. H. und C. hatten aus den Kriegstagebüchern von Verwandten vorgelesen, die Verhältnisse erläutert und auf Landkarten gezeigt, wo sich die Tagebuchschreiber befanden, als sie ihre Eintragungen gemacht hatten. Es war die Probe für eine halböffentliche Veranstaltung, deren Termin noch im Unklaren lag.

D. und ich waren sozusagen das Testpublikum gewesen, und alles war ganz gut gelaufen. Bevor wir uns wieder trennten, redeten wir noch ein bisschen und landeten irgendwie wieder in den üblichen Schleifen.

„Ich bin seit einem Jahr nicht mehr im Urlaub gewesen“, sagte D. und wirkte erschöpft. „Ich bin seit zweieinhalb Jahren nicht mehr weggewesen“, trumpfte ich auf. „Aber vor anderthalb Jahren warst du doch auf Mallorca“, protestierte D. Dabei waren es nur fünf Tage gewesen! Auch ärgerte ich mich, weil D. zumindest beruflich dauernd in der Welt rumreist und auch sonst immer gut organisiert ist. Während sie unter einer gewissen Arbeitswut leidet, leide ich oft an einer ausgesprochenen Arbeitsunlust; während sie ihre Arbeit interessant findet, halte ich meine Arbeit zuweilen für völlig sinnlos; während sie sehr gesellig ist, sitze ich viel Zeit allein zu Hause rum und vermisse das gesellige Moment der Festangestellten.

Egal. Jedenfalls klagte D. dann wieder, dass sie eben noch 5.000 Mark auf ihrem Konto gehabt hätte, und nun würde die Steuer 6.000 Mark an Nachzahlung verlangen. Das sei doch furchtbar, sagte sie, um Konsensbeifall bemüht, wie mir schien, und fluchte auf das Finanzamt, bei dem sie eine Stundung erreicht hatte.

Ich selber konnte dem Finanzamt nichts vorwerfen und gab damit an, dass ich vor zwei Jahren 15.400 netto im Jahr verdient hatte, seit Jahren hoch verschuldet sei und im März acht Texte für eine Zeitung geschrieben hatte, für die ich keinen Pfennig bekam, denn die Zeitung ging ein. Solche Sachen passieren halt im Leben des freien Journalisten.

Natürlich gab es auch andere Probleme. Die Fernseh- und Rundfunkanstalten würden nur noch lustigen Mainstream produzieren, sagte D., und ihre lustigen Auslandsreportagen ablehnen. Ich hatte keine Lust, für den Rundfunk zu arbeiten, weil ich selbst kotzen muss beim Hören von Sendern, die meinen, sie würden anspruchsvolles Radio machen.

Es war wohl auch ungerecht, dass D. nur ein bisschen mehr als ich verdiente, obgleich sie viel mehr arbeitete. Doch das lag eben daran, dass sie anders besteuert wurde. Egal.

Das Gespräch endete, wie solche Gespräche immer zu enden pflegen: Man ärgert sich über das eigene Rumgejammer. Man ärgert sich umso mehr, weil man sich ja irgendwann ganz bewusst entschieden hatte, nicht aufs Geld zu gucken, die eigenen Sinndefizite nicht mit Familiengründungen aufzufangen und nur das zu machen, was einen interessierte.

Das Blöde an dieser Entscheidung war nur, dass sie einen sozusagen dazu verpflichtete, wenn nicht glücklich, so doch überzeugt von der eigenen Arbeit zu sein. Während jeder Depp in anderen Deppenberufen seine Arbeit straflos sinnlos finden und über seine Chefs schimpfen darf, kann man sich als frei flottierender Journalist immer nur selber beschimpfen, was der eigenen Arbeit schadet.

Man schreibt natürlich immer weniger und schlechter, je sinnloser man den ganzen Journalismus und je bescheuerter man alle Journalisten, also sich auch selbst, zuweilen findet. Die, die bei irgendwelchen fiesen Firmen ihr Geld verdienten, hatten das Recht, sich zu beklagen. Wir nicht. Und letztlich jammerten wir wahrscheinlich auch gar nicht so sehr über unsere permanenten Finanzkrisen, sondern auch aus Snobismus darüber, dass so ein Unsinn wie Geld einen beschäftigt.

Am Ende waren wir uns wie immer darüber einig, dass wir doch auch tausend Vorteile hätten. Die große Freiheit, nichts zu tun zu haben zum Beispiel, und dass man damit eben besser umgehen müsse.

Aber irgendwie war das auch gelogen und eine Flucht vor Gefühlen, für die man sich schämt, weil man sie gleichzeitig für feige, pubertär und altersschwach hält; irgendwie war man mal wieder dahin gekommen, viel zu vieles aufgeblasen, langweilig, sinnlos und lächerlich zu finden.

DETLEF KUHLBRODT