Eine Straße durch drei Länder

Auf dem Weg von Bissau nach Dakar kann man die Entfernung in Kilometern messen oder in Militärkontrollen. Und manchmal greifen die Rebellen an

aus Bissau THOMAS BAUR

„Wenn ihr gegen Mittag die senegalesische Grenze erreicht, habt ihr gute Chancen, unbeschadet durchzukommen“, rät ein Entwicklungshelfer. Zur Mittagszeit sind in Afrika nur Esel oder Touristen unterwegs, kaum aber die Rebellen des MFDC, der Bewegung der Demokratischen Kräfte der Casamance. Seit Monaten machen sie mit Terroranschlägen auf Busse und Taxis den Südsenegal unsicher. Die Angriffe zeigen Wirkung. Wartete früher auf dem Busbahnhof von Bissau eine ganze Armada von Sammeltaxis auf Fahrgäste Richtung Dakar, sind es heute gerade mal drei Fahrzeuge. Wer es sich leisten kann, nimmt das Flugzeug – oder bleibt zu Hause.

Der Staat ist bankrott

Auch zwei Jahr nach dem Putsch gegen den Präsidenten Nino Vieira sind die Auswirkungen der blutigen Wirren unübersehbar. Im Zentrum von Bissau stehen ganze Häuserzeilen leer. Die geflohenen Ladenbesitzer, zumeist Libanesen oder Portugiesen, trauen dem Frieden so wenig wie die einheimischen Eliten. Der Staat ist bankrott, die für den Wiederaufbau versprochenen Hilfsgelder in Höhe von 200 Millionen US-Dollar sind ausgeblieben. Die internationale Staatengemeinschaft setzt wenig Vertrauen in die wechselnden Regierungen des Anfang 2000 gewählten Präsidenten Kumba Yala. Schon mehren sich die Stimmen, die nach dem starkem Arm der Militärs rufen.

Mit einem Kleinbus der Marke Peugeot geht es Richtung Grenze. Die Fahrgäste spiegeln die Krisenherde Westafrikas wider: verschlossene junge Männer aus Sierra Leone, Conakry oder Liberia, deren wenige Habseligkeiten in eine Plastiktüte passen. Sie alle suchen ihr Glück im Norden, in Dakar oder Gambia. So wie Sabado, der immerhin die Adresse eines Onkels in Banjul hat. Dort werde er „sicher eine Arbeit finden, anders als in Bissau“. Aber so wirklich überzeugt scheint er nicht zu sein von seinem zerknitterten Zettel. Es wird kaum gesprochen, die Stimmung ist gespannt. Nur einmal platzt den Fahrgästen der Kragen. Es ist an einer der vielen Straßensperren, wo man einen aus unserer Gruppe nicht weiterfahren lassen will. Vielleicht ein fehlender Stempel, ein falsches Formular, wer weiß das schon? Nach endlosen Diskussionen gibt der Beamte schließlich auf. Gemeinsam geht es weiter.

Reich an Schlaglöchern

Wir fahren auf einer Trasse, die von der EU zur neuen Transversale Dakar–Banjul–Bissau ausgebaut werden soll. Die knapp 600 Kilometer lange, an Schlaglöchern reiche Route verbindet drei Hauptstädte mit unterschiedlicher kolonialer Vergangenheit. Weitgehend umgesetzt ist das Vorhaben bislang nur in Guinea-Bissau. Paradoxerweise hat das ärmste Land der Region die besten Straßenverhältnisse.

Zur Kolonialzeit verliefen die wichtigsten Handelswege von der Küste ins Landesinnere, üblicherweise entlang der Flüsse. Das hat sich geändert. Heute wollen die Leute aus Bissau zum Arzt nach Dakar oder zum Einkaufen nach Banjul, umgekehrt rechnen sich senegalesische Firmen gute Absatzchancen im unterentwickelten Süden aus. Nur die wirtschaftliche Integration der Region und der damit verbundene Aufschwung, so das Kalkül der EU, würden Zustände wie im Kongo verhindern.

Am Rio Cacheu begegnen wir Toni Meyerink. Der holländische Ingenieur soll im Auftrag der EU die beiden Fähren sanieren, die man dem Land vor fünf Jahren lieferte. Trotz intensiver Schulung des Personals sind die Maschinen bereits ruiniert. Es wird improvisiert, sodass sich auf beiden Seiten des Flusses lange Fahrzeugkolonnen stauen.

In Ingoré, noch weit vor der Grenze, beginnt die eigentliche Kampfzone. Das friedliche Markttreiben in dem staubigen Kaff täuscht. Überall warnen riesige Schilder vor Minen, die 1998 vom MFDC und dem putschenden Militär gelegt wurden, weil man einen senegalesischen Einmarsch fürchtete. Nachdem die bewaffneten MFDC-Kader im vergangenen Herbst aus ihren grenznahen Basen vertrieben worden sind, richtet sich die Wut der Bevölkerung auf die eigenen Truppen. Seit dem Schulterschluss mit Senegal werden sie als Besatzungsarmee empfunden. Denn die hier lebenden Ethnien haben sich immer mit dem Unabhängigkeitsstreben der Diola jenseits der Grenze solidarisch gezeigt.

Der senegalesische Grenzbeamte in Zivil gibt sich betont jovial. „Wie war es in Bissau? Gab es Strom und Wasser?“ Das leicht gequälte Kopfschütteln quittiert er mit einem Ausbruch von Heiterkeit. Der Mann hat gut lachen: Hinter ihm steht ein Panzer, die Kanone direkt auf die Ankommenden gerichtet. Die jungen Soldaten dagegen wirken hinter ihren Spiegelbrillen eher nervös.

Bis nach Ziguinchor, der Provinzhauptstadt der Casamance, sind es 20 Kilometer oder sieben Militärkontrollen. Dazwischen sind überall Kampfspuren zu sehen. Die verschlafene Stadt war bis vor kurzem noch das Hauptangriffsziel des MFDC, dementsprechend gleicht das Umland einem Heerlager. In tief gestaffelten Verteidigungslinien hat sich die senegalesische Armee eingegraben. Auch politisch ist der Konflikt festgefahren. Senegals Präsident Abdoulaye Wade hat es zwar nicht an Friedensgesten fehlen lassen, in der Hauptsache aber bleibt er kompromisslos. Eine beschränkte Autonomie oder gar die Unabhängigkeit der Casamance kommen für ihn nicht in Frage. Das zeigt schon die massive Militärpräsenz.

Der Chauffeur gibt Gas

Irgendwo zwischen Bignona und der Grenze zu Gambia ist es dann doch passiert: Mitten auf der Straße stehen zwei noch rauchende Fahrzeugwracks. Soldaten auf Geländewagen sichern die Umgebung. Kommentarlos gibt unser Chauffeur Gas. Einen Toten und einen Verletzen forderte der Angriff von „Banditen“, so die offizielle Sprachregelung. Die Regierung in Dakar steht vor einem Friedensschluss mit dem gemäßigten Flügel des MFDC unter Pater Augustin Diamacone. Die militanten Gruppen des MFDC suchen daher nach Gelegenheiten, zu zeigen, wer wirklich den Finger am Abzug hat.

Die Küste zwischen Cap Skirring und Abéné ist bekannt für Palmen und einsame Strände. Im Hinterland wächst Marihuana, das hier Yamba genannt wird. Angeblich bezahlt der MFDC seine Waffen mit dem Erlös. In Wirklichkeit dürfte Libyens Oberst Gaddafi der Financier der Rebellion sein.

Gut 2.000 Gästebetten zählt die Region, von schicken Ferienclubs mit Golfanlage bis zu spartanischen Lehmhütten, die die einheimische Bevölkerung für junge Reisende mit schmalem Budget errichtet hat. Doch seit der vergangenen Saison bleiben die Besucher aus. Nur im Hippie-Ressort „A la Nature“ vergnügen sich ein paar bleiche Rastas. Dass erst vor kurzem wenige Kilometer von hier Dutzende unbeteiligte Zivilisten bei einem Überfall des MFDC ums Leben gekommen sind, haben sie nicht mitbekommen. Madame Denise vom Hotel Le Fouta Djalon meint den Grund für die verheerende Flaute zu kennen. Seitdem die französische Presse „das Thema Casamance“ nicht länger totschweige, hätten die Touristen „einfach Angst“.

Drei Fahrstunden und ungezählte Kontrollen weiter wird die ganze Absurdität kolonialer Grenzziehung deutlich. Bei Mansa Konko durchschneidet der Transgambian Highway die ehemalige englische Kolonie. Mit einem Wust von Schikanen versucht Gambia dem übermächtigen Nachbarn Senegal das Leben schwer zu machen. „Wir sind eben im anglophonen Sprachraum“, erklärt ein Mitreisender die ruppige Tonart der Grenzbeamten. Gambias Regierung steht den Plänen der EU, eine Brücke über den Fluss zu schlagen, ablehnend gegenüber. Schließlich verdienen sie ganz gut an den Wartenden, die Straßenhändler mit ihren Schmuggelwaren, die Geldwechsler und Prostituierten.

Am letzten Checkpoint

Das senegalesische Kaolak markiert den letzten großen Checkpoint auf dem Weg nach Dakar. Jedes Fahrzeug, das aus dem Süden kommt, ist verdächtig. Noch einmal heißt es: „Alles ausräumen!“ Taschenlampen leuchten in Gepäckstücke, Geldscheine wechseln diskret den Besitzer. Bis Dakar sind es jetzt noch vier Stunden.