Mit Neugier in die Perversion

■ Monika Treuts My Father is Coming erkundet sexuelle Möglichkeiten

Hans ist hässlich, kommt aus Bayern und liebt Weißwürste. Seine Tochter Vicky ist hübsch, lebt in New York und isst vegetarisch. Normalerweise trennt sie ein Ozean. Aber in My Father is Coming ist Hans zu Besuch bei seiner Tochter. Letztere ist zunächst wenig begeistert, da sie glaubt sämtliche Lügengebäude ins Leben rufen zu müssen:

Dass sie weder verheiratet noch eine erfolgreiche Schauspielerin ist, hat sie ihrem Vater verschwiegen. Doch der hässliche Hans erweist sich als ein beweglicher und lernfähiger Mensch: Schon bald schaut er hinter die töchterlichen Kulissen und lernt auf diesem Weg einige merk- und liebenswürdige Menschen kennen. So trifft er auf Lesben, Schwule, Transsexuelle und auf die Pornokünstlerin Annie Sprinkle. Ganz beiläufig erfährt er von Lebensstilen und Lebensweisen, die ohne seine Offenheit nicht so ansteckend wären. Da Hans keine Berührungsängste hat, kann er der Personenstaffel seiner Tochter beruhigt zusehen.

Mit „Hans“ erschafft Monika Treuts Film eine Figur, in deren Gesichtsfeld sich die ZuschauerInnen unaufgeregt begeben können. Er ist der Initiator für die Reise in eine Neue Welt, die nicht nur Amerika, sondern auch sexuelle Möglichkeiten heißt. So ist der Film eine Entdeckungsfahrt, die den ZuschauerInnen zahlreiche Perversionen näher bringt. Da der Film keine Perspektive bietet, welche diese Möglichkeiten verwirft, ist er gleichzeitig ein undramatischer Aufklärungs- und Lehrfilm. Wem beispielsweise die sexualpolitische Haltung von Annie Sprinkle kein Begriff ist, kann sich mit Hans beruhigt in ihre Hände begeben. Ganz nebenbei erfährt man entlang dieser Begegnung über freizügige Sexualität und transsexuelle Identitätskonstruktionen. Weil der Film seine Vermittlungen als Teil einer vergleichsweise normalen Erzählung mitlaufen lässt, sind sie unaufdringlich platziert und erwecken den Eindruck einer unkomplizierten Bandbreite von Sexualitäten.

Gleichzeitig erkundet der Film die Unerreichbarkeit stabilisierender Identitätskategorien. Geschlecht, Sexualität, Klasse und Nationalität stiften zwar wirkungsmächtige Selbst- und Fremdbilder. Dass heißt jedoch nicht, dass sie keinen Veränderungen und Überarbeitungen ausgesetzt sind. Da die Charaktere neugierig und aufgeschlossen sind, kann jede Begegnung zu einem Überdenken der eigenen Position führen und neue identifikatorische Möglichkeiten hervorbringen. Ungezwungen wird Neues erprobt und das Eigene unbeschadet verlassen. Die Übertretung sozialer Normen wird durch diese Erzählweise zu einem unspektakulären Ereignis. Weder Opfererzählungen noch Selbsterhöhungen finden in diesem Film statt; vielmehr wird eine Haltung beschrieben, die jegliche Fixierung vermeidet und gerade durch ihre Offenheit an Charme gewinnt.

Leider hat sich Treut in ihren letzten Filmen von diesen flexiblen Erkundungsformen verabschiedet. So widmet sich zwar beispielsweise Gendernauts gleichfalls Menschen, die aus jeglicher geschlechtlichen und sexuellen Kategorisierung herausfallen. Doch allzu bemüht wirkt hier ihr Versuch, die portraitierten Transgenders als Avantgarde einer kommenden Geschlechterrevolution darzustellen. Ansteckender ist für mich aber eine neugierige Haltung, wie sie My Father is Coming an den Tag legt: Denn diese lässt jegliche Bewertung von Identitätskonstruktionen hinter sich.

Doro Wiese

So 21 Uhr Mission Kaiser-Wilhelm-Strasse 81