Echte Doppelrollen

Eine der schönsten Liebesgeschichten im Kino: Quer durch den Olivenhain  ■ Von Urs Richter

Mittlerweile ist der iranische Regisseur Abbas Kiarostami auch der westlichen Welt ein Begriff. Seine beiden jüngsten Filme Der Geschmack der Kirsche und Der Wind wird uns tragen sahnten in Cannes und Venedig ab. Eine Auswahl iranischer Filme gehört ins Programm jedes Filmfestivals, das seinen Namen pflegt. 1994 lag der Fall sehr anders. „Iranisches Kino“ war kein Qualitätszertifikat, sondern ein Fragezeichen.

Der Legende nach änderte sich das schlagartig dank Quentin Tarantino. Der konnte sich nach „Pulp Fiction“ so ziemlich jede Exzentrik erlauben und zwang seinen Verleih Miramax, einen Film einzukaufen, den er während seines Videothekenjobs begeistert entdeckt hatte. So soll Quer durch den Olivenhain in die internationale Distribution und der Name Abbas Kiarostami ins Feuilleton geraten sein.

Quer durch den Olivenhain beginnt mit einem Casting. Vor der Dorfschule haben sich Mädchen im Tschador in Reihen gestellt. Der onkelhafte Regisseur lässt sich Namen sagen. Aus den krähenschwarzen Schleiern schauen uns selbstbewusste Gesichter an. Erste aufmüpfige Fragen verdeutlichen, dass die Anwesenheit des Filmteams in dieser bäuerlichen Welt so gar nichts Exotisches hat. Hier wurde früher bereits gefilmt, die Leute sind dran gewöhnt und haben im Moment viel drängendere Sorgen. Ein Erdbeben hat den Norden des Landes schwer zerstört, die Überlebenden verlassen die Ruinen und campieren notdürftig an Strassen.

Die folgende, ewig lange Einstellung nimmt uns mit auf solch eine Straße. Der Blick ist durch die Frontscheibe eines Geländewagens auf schlammige Pisten gerichtet. Offstimmen, offensichtlich O-Tönen, lässt sich entnehmen, dass die Produktionsassistentin eines der Mädchen für eine kleine Rolle abholt. Unterwegs stoppt die Fahrt, eine männliche Stimme entbietet einen Gruß, ein Türenschlagen, jemand ist zugestiegen. Die Kamera bleibt stur nach vorne gerichtet. Der Mann beteuert mürrisch, dass er den Film und die Kunst keineswegs mag. Dennoch hat er Kreide besorgt für die Klappenaufschrift und meldet Interesse am Mitspielen an. Die Assistentin will schauen, was sich machen lässt. Der Mann steigt wieder aus. Die Kamera bleibt immer noch stur. Und dann ergibt alles herrlichen Sinn: der Anhalter läuft nach vorn in den Rahmen des Autofensters, ein Kino im Kino – in dem der Gute seinen Gastauftritt bekommt.

Ganze fünf Minuten hat Kiarostami gebraucht, um uns so mit leichter Hand in ein komplexes Spiel aus Fiktion, Dokumentation und Selbstthematisierung seines Mediums hineinzuziehen. Was als Produktionsnotiz über Dreharbeiten unter widrigen Umständen beginnt, verwandelt sich bruchlos zum humorvollen Kommentar über die Doppelung des Lebens durch den Film. Und über die Wünsche, die wir dieser Doppelung antragen.

Grandios fügt Kiarostami das Wechselspiel von Leben und Kunst im Kernmotiv der Geschichte zusammen. Das Mädchen Tahere soll im entstehenden Film die junge Braut von Hossein spielen. In Wirklichkeit, das heißt in der Wirklichkeit des Filmes Quer durch den Olivenhain, ist der Maurer Hossein unglücklich in Tahere verliebt. Ihre Eltern haben seine Heiratsanträge abgelehnt: Er habe kein Haus. Während des Erdbebens hat Tahere ihre Eltern verloren und alle Häuser liegen in Schutt. Und Hossein brennt seine Frage auf der Seele. Wieder und wieder verpatzt er den Drehbuchtext, um Gelegenheit zum Flirten zu schaffen. „Fräulein Tahere, ist das ein Leben? Einmal bringe ich den Tee. Einmal bringst du den Tee. Das ist meine Vorstellung von der Ehe.“ So dickschädelig er sie umwirbt, so beharrlich ignoriert sie ihn. Der Ausgang der Liebesgeschichte sei nicht verraten.

Ausgerechnet eine Fiktion also bietet den beiden die einzige Gelegenheit, ihre Gefühle zu offenbaren. Woraus ein anderer Film - eben der, den wir sehen - eine der schönsten Liebesgeschichten des Kinos zaubert. Und als ob diese Verschachtelung nicht raffiniert genug sei: Beide in „Quer durch den Olivenhain“ erwähnten Filme gibt es tatsächlich. Kiarostami hat in jener Gegend 1988 „Wo ist das Haus meines Freundes“ gedreht, eine Jungensgeschichte. Das Erdbeben von 1990 ist leider keine Fiktion. In Sorge um seine Kinderdarsteller ist er in Begleitung seines Sohnes in die verwüstete Region gefahren. Nach dieser Reise entstand 1990 „Und das Leben geht weiter“. In einer Szene hat ein frischverheiratetes Paar einen Auftritt. Es sind - natürlich - Hossein und Tahere. Die so genannte „Erdbebentrilogie“ ist bedauerlicherweise nie als Paket in die Kinos gekommen. Vielleicht kann Quentin das mal managen.

Do + Fr, 17 Uhr, Abaton; Sa + So, 18 Uhr, 3001; Di, 17 Uhr + Mi, 22.30 Uhr, Zeise