Jazz in the Countryside

Auch am neuen Termin und in Assoziation mit dem Schleswig Holstein Musik Festival: Das Festival JazzBaltica verbindet wieder Naherholung mit einem ansehnlichen Musikprogramm  ■ Von Tobias Richtsteig

Mit dem Sommer kommen die Festivals. Veranstaltungen aller Art buhlen um die Norddeutschen, die im leichten Baumwollpulli die regenarme Zeit feiern. In den nächsten zwei Wochen stehen zwei Jazzfestivals zur Auswahl, die je unterschiedlichen Konzepten folgen. Das Jazzport-Festival in Hamburg versteht sich als Konzertreihe und ruft vom 5. bis 13. Juli zum Event nach Feierabend. Das JazzBaltica folgt einem eher angelsächsischen Verständnis des Begriffs „Festival“ und lädt am kommenden Wochenende zum Ausflug nach Salzau ein. Zwischen Kiel und der Ostsee gelegen, bietet der ehemalige Gutshof den Rahmen für einen Kurzurlaub mit Musikprogramm.

Im vergangenen Jahr hatte es nicht gut ausgesehen für den Fortbestand des Festivals. Ausgerechnet zum 10. Jubiläum waren Pläne zum Verkauf des Veranstaltungsortes bekannt geworden. JazzBaltica hätte ins kleinere Plöner Schloss umziehen müssen, verbunden mit einer Veränderung von Umfang und Charakter des Festivals. Rainer Haarmann, künstlerischer Leiter von JazzBaltica, konnte im Frühjahr vermelden: „Die Pläne sind vom Tisch, Salzau bleibt der Kultur erhalten.“ Schließlich nutzt auch das Schleswig Holstein Musik Festival (SHMF) Salzau als Spielort, und so lag eine nähere Zusammenarbeit nahe. Die beschränkt sich hauptsächlich aufs Organisatorische, der künstlerische Leiter arbeitet fortan auf Rechnung des SHMF und freut sich auf mögliche Synergie-Effekte. Dieses Jahr zum Beispiel orientiert man sich gemeinsam am Motto „Finnland lauschen“ und hat unter anderem das Kimmo Pohjonen Project eingeladen.

Der Akkordeonist Pohjonen ist in Finnland geradezu ein Rock-Star. Seine Hits bringen auch mal keltische Folklore mit Techno in Verbindung. Nach dem Studium an der Sibelius-Hochschule in Helsinki ging er nach Argentinien, neben Finnland das andere Heimatland des Tango. Seine Shows funktionieren multimedial: Mit Sampler, Sounddesign und Lightshow rockt Pohjonen an seinem fünfreihigen Knopf-Akkordeon das Haus, unterstützt von zwei Percussionisten. Der Auftritt am Samstagmittag um 15 Uhr verspricht interessant zu werden. Ohne im Mainstream zu dümpeln, bleibt JazzBaltica aber auch Festival für ein breit gestreutes Publikum.

Wie ein zweiter roter Faden durchzieht eine Reihe von Pianis-ten das Programm. Darunter Namen, die zu den bekanntesten des Jazz gehören. McCoy Tyner zum Beispiel kommt gleich zweimal auf die Bühne: Freitag beschließt er gegen 19 Uhr das erste Hauptprogramm des Festivals, am Samstag um 20.15 Uhr mit seinem Trio und Stargast Chico Freeman, unterstützt von der NDR Big Band wieder aufzutauchen. Der 80-jährige Dave Brubeck und sein Quartett bringen am Sonntag Nachmittag kammermusikalischen Glanz in die Konzertscheune. Weitere Pflichttermine für Freunde des Jazzpianos sind die Auftritte von Ahmad Jamal, der gerade seinen 70. Geburtstag feierte, dessen Musik aber immer noch unverbraucht ist, und Andrew Hill, der mit dem Postbopper Joel Frahm seinen 64. Geburtstag am Samstag auf der Bühne feiern wird.

Erwähnt werden müssen noch die Auftritte des Po-saunisten Steve Turre mit James Carter und George Cables, von Jacky Terrasson mit Stefano di Battista und dem finnischen Vibraphonisten Severi Pyysalo und natürlich die Heimkehr des Flensburgers Martin Wind, der sich in New York einen Namen als Bassist gemacht hat. Den Glamour-Faktor werden die Konzerte von Al Jar-reau (am Freitagabend) und Diane Reeves mit dem Schleswig-Holstein Chamber Orchestra (am Sonntagabend) sichern.

Tatsächlich sind die Konzertprogramme auch nur ein Grund, zu JazzBaltica zu fahren. Die rund hundert Kilometer Weg (es gibt für Bahnfahrer einen Bustransfer Kiel–Salzau) werden mit einem Urlaubswochenende auf dem Land belohnt. Übernachten kann man im eigenen Zelt auf dem Campingplatz.

Falls man überhaupt schlafen möchte, denn nachts jammen im Herrenhaus auch die Top-Acts bei den After-Hours-Sessions. Tagsüber lockt ein Spaziergang am See, Stöbern an CD-Verkaufsständen oder ein Picknick beim kos-tenlosen Open Air-Programm mit Bands aus Schleswig-Holstein. In Websters Dictionary bezeichnet „Festival“ übrigens an erster Stelle „Tag oder Zeit des Feierns“.