Voice over IP killt Telefon

■ Der Computer macht, mit dem Bremer „Voice-over-IP“-Programm versehen, die alte Telefonanlage überflüssig: Mit ASP wird jeder PC zur virtuellen Nebenstelle

„Business Development Manager“ steht auf seiner Visitenkarte. Nils Torben Kohle machte 1995 am Schulzentrum in der Delmestraße sein Abitur. Gestern saß der heute 25-Jährige auf dem Podium, als ein Projekt vorgestellt wurde, das die Welt verändern könnte: „Voice over IP“. Diese Technik ermöglicht es heute schon, zum Ortstarif nach Singapur zu telefonieren. „Voice over IP“ lässt gleichzeitig, zum Beispiel, moderne „Call-Center-Büros“ ganz alt aussehen. Das Call-Center der Zukunft ist rein „virtuell“, ortsungebunden und höchst spezialisiert. Die Idee von „Voice over IP“: Schmeißen Sie ihre Telefonanlage weg, sie ist out und überflüssig wie ein Kropf.

Nils Torben Kohle ist der „business developer“ des Projektes. „Er hat mich als alternden baby boomer dazu ermutigt“, gesteht „Mioco“-Geschäftsführer Roland Gieske.

Mioco steht für „Mind of communication“ und ist eine Bremer Bilderbuch-Start-Up-Firma, die in einem Jahr von 30 auf 50 Mitarbeiter angewachsen ist.

Hinter ihrer Software „Voice over IP“ steckt die Idee, den Computer als Telefon-Zentrale zu nutzen und die Datenverbindungen zur Übertragung auch von Sprache. Die Qualität der „Vioce“-Daten zu verbessern, darin liegt die Kernkompetenz von Mioco. Was Siemens noch nicht geschafft hat, haben die kleinen Bremer Partner geschafft: Einige Dutzend Firmen telefonieren schon mit der neuen Technik. Der „Server“ übrigens, über den die Telefongespräche abgewickelt werden und der die Telefonanlagen in den Firmen ersetzt, steht bei der Firma Work-Center am Bremer Flughafen, dem „Application Service Provider“. Die Telefon-Gesellschaft Nordcom, die an der Entwicklung des Projektes maßgeblich beteiligt war, wird nun prüfen, versicherte Geschäftsführer Günter Fröhlich, ob sie selbst auch an der Vermarktung Interesse hat.

Auch Jens Eckhoff, der Fraktionsvorsitzende der CDU, fand die Idee spannend, und da die ebenfalls am Projekt beteiligte Bremen Briteline mit dem Wirtschaftssenator „atmosphärische Störungen“ hatte, lud man kurzerhand den CDU-Mann ein, die einleitenden Worte zur Pressekonferenz zu sprechen und sich so mit dem Projekt zu identifizieren: „Bundesweit einmalig“, lobte Eckhoff die neue Bremer Technologie.

Warum die Revolution nur im Schneckentempo in Gang kommt, konnten die Beteiligten lediglich mit der „Emotionalität der Nutzer“ (Fröhlich) erklären: Haustechniker und Firmenleitungen hängen an ihrer alten Telefon-Anlage. Dabei könnte die neue Technik auch Kosten sparen helfen: Wenn ein Unternehmen auf zwei oder mehr Standorte verteilt ist und die gesamte Telefon-Kommunikation übers Internet abwickeln kann, ist eine Menge Geld zu sparen. „Wir machen aus jedem PC eine Nebenstelle der Telefonanlage“, erklärt Gieske das Prinzip. Egal, wo der Mitarbeiter ist, er kann sich an jedem PC, der mit Headset ausgestattet ist, ins Programm „Hello world“ einloggen – und alle Gespräche kommen bei ihm an, als säße er an seinem Schreibtisch.

So ermöglicht die Technik auch neue Dimensionen der Tele-Arbeit. Virtuelle Experten-Call-Center könnten entstehen; für spezielle Fragen der Kinder-Möbel könnten bundesweit 25 oder 40 Experten über ihren C omputer zu Hause oder im Büro vernetzt und verfügbar sein – die Zentrale hat den vollen Überblick, wer gerade „angemeldet“ ist und wer im Rahmen des virtuellen Call-Centers gerade von wem um Rat gefragt wird. Und wer als Kunde im Internet surft, kann per Klick ein Telefongespräch zu einem virtuellen Call-Center beginnen.

Das Meinungsforschungsinstitut „Emnid“ nutzt die virtuelle Telefon-Anlage bereits für seine Umfrage-Teams, die Bremer Touristik-Zentrale auch. Die Bremer IT-Unternehmer waren auch schon auf Einladung von IBM in der Konzernzentrale in den USA zum informellen Gespräch, da ihre Software auch auf Linux-Basis funktioniert.

Für alle, die auf das Gefühl, einen Telefonhörer in der Hand zu halten, noch nicht verzichten wollen, hat Mioco eine Box gebaut, an die alte Telefone angeschlossen werden können.

K.W.