Da fahren selbst die Bahner schwarz

■ Wutentbrannt zogen über 600 Mitarbeiter des von Kürzungen bedrohten Instandhaltungswerkes Sebaldsbrück zum Rathaus

Seit 21 Jahren dabei und jetzt das. „Früher waren wir eine große Familie, jetzt sind wir nur noch ein großer Scheißhaufen.“ Schlosser Peter S. ist an diesem Morgen echt sauer auf die Bahn, auf Bahnchef Mehdorn, vielleicht sogar auf die ganze Welt: Im Bahn-Instandhaltungswerk in Sebaldsbrück sollen 650 der 850 Jobs bis 2005 abgebaut werden, davon 110 noch in diesem Jahr. Au weia!

Jetzt marschiert er zusammen mit gut 600 Bahnern in Richtung Bremer Rathaus. Die Loks auf Schicht sind den Bahnern heute piepe: Die Gesichter grimmig, es gibt Trillerpfeifen-Konzerte, Fahnen werden geschwenkt, auf denen „Personalabbau ist Raubbau“ steht. Warnstreik in Bremen – wie gestern an fast allen 18 DB-Instandstandhaltungswerken in Deutschland, von denen bis 2003 acht geschlossen werden sollen. „Wir hauen jetzt voll rein“, ruft einer, „wir können die Eskalationsstufe noch erhöhen“, meint Betriebsratschef Peter Nowack. „Das hat Auswirkungen auf den Zugverkehr in ganz Deutschland!“

Niemand in Sebaldsbrück kann den Plan der Berliner Konzernzentrale verstehen. Mit ein paar Jobs weniger hatten die Lok-Reparierer ja gerechnet – aber gleich drei Viertel aller Stellen? Geschuftet haben sie, Qualitätspreise eingeheimst, ein Top-Werk innerhalb des Konzerns, hatte es geheißen. Und jetzt das! Schockschwerenot.

„2005 bin ich 46“, meint August B. aus der Motorabteilung. Drei Kinder hat er, eine Frau, ein Häuschen – und plötzlich ist die Zukunft schwarz: „Was soll ich denn dann machen?“ Ja, bis 2004 wird es bei der Bahn keine betriebsbedingten Kündigungen geben. „Aber was heißt das eigentlich?“, fragt Betriebsrat Nowack empört: „Die Leute bekommen ein Angebot, S-Bahn-Fahrer in München zu werden oder nach Cottbus zu gehen. Völlig unzumutbar. Und was passiert nach 2004?“

Wutentbrannt steigen die Bahner in den Zug Richtung City – ohne Fahrkarte. „Wir fahren schwarz, um das Unternehmen zu schädigen“, sagt Nowack trotzig. Am Rathaus wird der Tross tatsächlich empfangen: SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen erscheint, Bürgermeister Henning Scherf (SPD) erscheint – und redet. „An manchen Standorten gibt es tatsächlich Gründe, die schwarze Fahne herauszuhängen.“ Aber heute Morgen habe er bereits mit Mehdorn gesprochen: Noch sei über Bremen nichts entschieden. Sei doch alles nur ein Konzept des Unternehmens-beraters Roland Berger. Und: Mehdorn habe Scherf signalisiert, „nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“

Während jetzt alle neu mit den Bahnchefs verhandeln wollen, sitzt Werksleiter Hans-Joachim Seul fast alleine im Werk in Sebaldsbrück. „Wir schaffen das“, betont er, und „die Arbeit aus dem zu schließenden Werk in Chemnitz muss ja umverteilt werden.“ Dann sagt er doch, dass die Auslastung in diesem Jahr zum ersten Mal auf 90 Prozent gesunken sei. „Da dürfen wir uns doch um Gottes willen jetzt nicht selbst aufgeben.“ ksc