Die Entdeckung der Hässlichkeit der Welt

In „caféhaus und irrenanstalt“: Eine Ausstellung über das Leben und Werk des expressionistischen Dichters Jakob van Hoddis im Centrum Judaicum

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Als er Anfang der 20er-Jahre in Berlin als expressionistischer Dichter berühmt wurde, war Jakob van Hoddis aus dem öffentlichen Leben bereits jahrelang verschwunden. Als seelisch kranker Patient lebte er seit 1914 in Pflegefamilien und Heilanstalten. 1942 wurde er verschleppt und in Sobibor ermordet.

Eine Ausstellung des Centrum Judaicum widmet sich dem jungen Dichter, den Künstlerzirkeln der Vorkriegszeit und der Geschichte seiner jüdischen Familie. Er schrieb mit Wut und Witz. Sein „Weltende“, 1911 erstmals in Der Demokrat veröffentlicht, gab auch der einzigen Gedichtsammlung von van Hoddis, die Franz Pfemfert 1918 herausgab, den Titel. Bis heute taucht es auf, wo immer von der Untergangsstimmung der Vorkriegszeit die Rede ist: „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut / In allen Lüften hallt es wie Geschrei / Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei / Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.“

Wenig aber nur kennt man von seinen übrigen hundert Gedichten. Im Centrum Judaicum flimmern gegenüber einem Faksimile des „Weltendes“ Ausschnitte damaliger Wochenschauen: entgleiste S-Bahn-Züge, Ringerinnen auf der Bühne, abstürzende Sportflugzeuge, überschwemmte Straßen. Die Lust an der Sensation war allgemein in einer Stadt, in der binnen kurzem 300 Kintopps aufgemacht hatten. „Weltende“ fängt den Spaß ein am schnellen Wechsel der Szene, am Schock und auch am Gefühl, als Beobachter davongekommen zu sein. Zur Vision aber, die die Katastrophe des Kriegs vorwegnahm, wurde das Gedicht erst später stilisiert.

Der Name „van Hoddis“ ist ein Anagramm seines Familiennamens Davidsohn. Von fünf Kindern war er, geboren 1887, der älteste Sohn. 1910 schenkte seine Mutter ihm eine Reise nach Italien und war nicht glücklich über die zurückgebrachten Verse: „Er steht und grübelt, seine Sinne flehen: Entdecke dir die Hässlichkeit der Welt.“ Begeistert von seinem Blick, der gleichgültig über gesicherte Werte streifte und voll Unruhe nach etwas Eigenem suchte, zeigten sich hingegen die Freunde, mit denen er den Neuen Club und das Neopathetische Cabaret gründete. „Wir suchten auf Straßen auf und ab. / Auf und ab. / Wir standen und saßen / Und liefen im Trab. / Ganz über die Maßen Erwartungsvoll. / Jetzt ist das Lokal verjohlt und voll.“

So genau sein Sprachrhythmus Sprunghaftigkeit und Unsicherheit wiedergab, so wenig neigte er zur Verklärung. Nichts verdeckte die Leere, die zwischen den Gewissheiten aufbrach. Zum Freundeskreis der Poeten (John Höxter, Kurt Hiller, Franz Pfemfert und Georg Heym), die im Café des Westens tagten, gehörten auch die Künstlerinnen Lotte Pritzel und Emmy Hennings. Ganz hinter dem Rauch ihrer mit langer Spitze gerauchten Zigarette verschwindet Lotte Pritzel in einem Filmausschnitt und baut dann im Handumdrehen aus einem bissschen Draht und ein bisschen Spitze eine Puppe.

Emmy Hennings, Tänzerin, Muse und Prostituierte, schaffte es erst zehn Jahre später mit autobiografischen Büchern über ihre Gefängniserlebnisse, nicht nur von allen geliebt, sondern auch anerkannt zu werden. In der Zeit, als sie Jakob van Hoddis gerne vor seinen Ängsten geschützt hätte, machte ihr selbst die Äthersucht zu schaffen. Kaum zwei Jahre dauerte dies improvisierte Leben, als Jakob van Hoddis wegen „Unfleiss“ von der Universität exmatrikuliert wurde. 1912 verunglückte Georg Heym, mit dem van Hoddis als schärfstem Konkurrenten im Kampf um eine neue Sprache oft aneinander geraten war. Für Schuldgefühle jede Menge Anlässe.

Sorgfältig dokumentieren Ausstellung und Katalog die Briefwechsel seiner Freunde, die nicht mehr wissen, ob sein schwieriges Temperament aus Überempfindlichkeit und Überheblichkeit noch einmal zu erreichen ist. Aus dem ersten Sanatorium schreibt er einem Freund: „Mein Programm ist Krieg dem intellektuellen Antisemitismus und seiner Logostheorie. Krieg der Aufklärung, der Kabbala, dem Talmud, dem Hofmansthal, der protestantischen Mystik, dem Protestantismus, Willy Wundt etc. Im Übrigen darf jeder glauben, was er will. Nur Geld muss ich haben.“ Ob und wo er die Grenze zwischen Zweifel, Zynismus und Wahnsinn überschritten hat, ist nicht mehr bestimmbar. „Ach, dem Denker wird’s übel / Der das Heut bedenken soll. / Steckt ihn in den Wasserkübel. / Er ist toll“, kommentiert er lapidar. Abgedruckt über den verzweifelten Briefen seiner Freunde, verblüffen seine Gedichte durch die spielerische Leichtigkeit, mit der sie Konflikte zu fassen vermögen, die sich außerhalb ihrer Sprache nicht mehr lösen lassen.

Bis 31. 8. Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28/30, So./ Mo., 10–20 Uhr, Di.–Do. 10–18 Uhr, Fr. 10–17 Uhr.Katalog „alle meine pfade rangen mit der nacht“, Stroemfeld Verlag, 40 DM