Mahnen, drängen, protestieren

Der Berliner Flüchtlingsrat wird 20 Jahre alt. Vielfach hat sich die Situation von Flüchtlingen verschlechtert, sagt Gründungs- und Vorstandsmitglied Rita Kantemir. Zur Geburtstagsfeier hat sich der neue Innensenator Ehrhart Körting (SPD) angesagt

Interview HEIKE KLEFFNER

taz: Welche Themen beschäftigen den Flüchtlingsrat seit seiner Gründung, ohne dass es bisher eine zufriedenstellende Lösung gegebenen hätte?

Rita Kantemir: Nach wie vor wird eine hohe Zahl von Asylanträgen abgelehnt. Das liegt nicht daran, dass Flüchtlinge das Asylrecht missbrauchen würden, sondern am deutschen Asylrecht, das ein Schlusslicht in Europa ist. Es gibt immer noch kein Asylrecht bei nichtstaatlicher Verfolgung. Flüchtlinge aus Afghanistan sind zehn Jahre lang ohne ein Aufenthaltsrecht hier gewesen, weil behauptet wurde, die Taliban hätten keine staatliche Macht und es gäbe auch immer noch die Möglichkeit der Inlandsfluchtalternative. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Interpretation im Frühjahr revidiert, so dass Afghanen erstmals Chancen haben, als asylberechtigt anerkannt zu werden. Dafür müssen sie aber wieder vor Gericht gehen. Auch die frauenspezifische Verfolgung wird nicht als Asylgrund anerkannt.

Hatten Sie in den Achtzigern Erfolge mit Ihren Forderungen?

Die wichtigsten Themen waren damals Abschiebestopps für Flüchtlinge aus dem Libanon und Tamilen aus Sri Lanka. Nach vielen Auseinandersetzungen und Aktionen – wir waren oft am Flughafen und haben da protestiert – ist es uns wirklich gelungen, erstmals in Berlin einen Abschiebestopp für Asylbewerber aus dem Libanon zu erreichen. Die großzügigste Bleiberechtsregelung für Tamilen gab es 1987 ausgerechnet unter einem CDU-Innensenator. Davon können wir heute nur träumen.

In der Bundespolitik scheint auch unter Rot-Grün das Prinzip der Abschreckung Vorrang vor dem Schutz von Asylsuchenden zu haben. Was hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten 20 Jahren verschlechtert?

Inzwischen gibt es ein Asylbewerberleistungsgesetz, das Flüchtlingen den Sozialhilfesatz um 22 Prozent kürzt. Sie bekommen 80 Mark Taschengeld, den Rest als Fresspakete, Gutscheine oder Chipkarten, mit denen sie nicht überall einkaufen können. Auch die zwangsweise Unterbringung in Sammelunterkünften, die teurer sind als normale Mietwohnungen, gehört zu den Verschlechterungen. Die Abschiebehaft in Berlin hat sich verschärft und wird sehr viel öfter beantragt. Hinzu kommt die so genannte Residenzpflicht, das heißt das totale Bewegungsverbot. Flüchtlinge dürfen während der manchmal zehn Jahre dauernden Asylverfahren den Bereich der zuständigen Ausländerbehörde nicht verlassen.

Haben sich Ihre Aktionsformen in den letzten zwei Jahrzehnten eigentlich verändert?

Die Aktionen sind zahmer geworden. Wir sperren den Flughafen nicht mehr durch Sitzblockaden, aber wir sind ja auch älter geworden. Punktuell arbeiten wir mit autonomen Flüchtlingsgruppen zusammen. Wir unterstützen die Aktionen gegen das Asylbewerberleistungsgesetz oder gegen die Residenzpflicht.

Gibt es auch Verbesserungen?

Auch wenn bestimmte Medien immer wieder durch rassistische Kampagnen Ausländerfeindlichkeit geschürt haben, habe ich doch den Eindruck, dass es heute ein größeres öffentliches Interesse an der Situation von Flüchtlingen gibt als 1981. Eine ganz neue Entwicklung ist, dass Innensenator Ehrhart Körting beabsichtigt, morgen zur 20-Jahresfeier zu kommen. Der Flüchtlingsrat wird aber auch unter der neuen Regierung weiterhin tun, was er auch die letzten 20 Jahre getan hat: Ziehen, zerren, mahnen und protestieren.

Welches Anliegen werden Sie ihm bei dieser Gelegenheit an erster Stelle vortragen?

Wir wollen, dass die jugendlichen allein reisenden Flüchtlinge, die seit zehn Jahren hier leben, zur Schule gegangen sind und eine Ausbildung gemacht haben, ein Bleiberecht bekommen. Momentan dürfen sie nicht arbeiten, bekommen Sozialhilfe und habe keine Perspektive, weil sie die engen Fristen für die so genannte Altfallregelung größtenteils nicht erfüllen. Ähnliches gilt für tausende von Flüchtlingen aus dem Kosovo und aus Bosnien. Sie leben teilweise seit zwölf Jahren hier. Mit einem gesicherten Aufenthalt für sie wäre sogar der Finanzhaushalt entlastet, weil die Flüchtlinge dann selbst arbeiten dürften.