Kreative Revolution auf 64 Feldern

Beim Fischer Random Chess stehen nur noch König und Turm auf ihren angestammten Plätzen, der Rest wird zugelost

MAINZ taz ■ Was dem Deutschen seine Ostfriesen, sind die Iren den Schotten. Bei einer Abart des Schachs, Shuffle Chess (übersetzt: Mischschach), wird die Startposition aller Figuren vom König bis zum Springer auf der ersten und achten Reihe ausgelost, während sich bei den jeweils acht gleichen Bauern davor nichts ändert. Rasch verbreitete ein Witzbold aus Aberdeen die Kunde von „Irish Shuffle“: Der tumbe Ire mische die acht Bauern und lose hernach deren Position aus. Dass sich dadurch nichts im Vergleich zum herkömmlichen Schach ändert, fand einer gar nicht lustig: Hans-Walter Schmitt. Der Turnierorganisator aus Bad Soden setzt alles daran, die verbesserte Variante des „Freistil-Schachs“, Fischer Random Chess, zu mehr als einer Lachnummer zu machen. Der einfallsreiche Schmitt verkündete vollmundig bei den Chess Classic Mainz, dem herkömmlichen Schach „mit der revolutionären Idee binnen zehn Jahren“ den Garaus zu machen.

„Noch ist es keine Konkurrenz“, weiß das deutsche Ass Artur Jussupow. Aber wegen der ausufernden Eröffnungstheorie, die Kilometer von Bücherregalen füllt, werde Fischer Random Chess „vielleicht zunehmend populärer. Der theoretische Ballast ist einfach geringer, deshalb erfordert das Spiel mehr Kreativität.“ Der legendäre US-Amerikaner Bobby Fischer wollte diese fördern, auf dass der stärkere Spieler gewinne – und keineswegs die durch die Fleißarbeit von Sekundantenteams und Computern bevorteilten Großmeister à la Kasparow. Fischer, der 1972 ungeschlagen als Weltmeister abtrat und nur noch einmal, 20 Jahre später, auf die Schachbühne zurückkehrte, bevorzugt deshalb seit 1992 sein Random Chess. Dieses zeichnet sich im Vergleich zum Shuffle Chess durch die erlaubten Rochaden aus, wonach der König samt Turm auf den gewohnten Feldern thront.

Im Vorprogramm des Duells der Weltmeister zwischen dem Inder Anand und dem Russen Kramnik, das nach dem ersten Tag 1:1 stand, werden die Figuren nicht wie üblich aufgebaut, sondern es wird jedem Stein sein Plätzchen hinter den Bauern zugelost. Nur eine Regel gibt es dabei: Die Läufer ergänzen sich wie gewohnt; einer steht auf einem schwarzen Feld, der andere folglich auf einem weißen. Weil die Startstellungen Vor- oder Nachteile besitzen, erhalten der Weltranglistenvierte Michael Adams und der drei Plätze tiefer eingestufte Ungar Peter Leko die spiegelbildliche Position, um den Glücksfaktor auszuschließen.

960 verschiedene Grundpositionen erübrigen das Büffeln jeglicher Art von Eröffnungstheorie. Nach den zwei Partien des ersten Tages führte Leko mit 1,5:0,5. Dabei zeichnete sich bereits ab, dass die Denkstrategen herkömmliche Stellungsmuster anstreben. Spätestens im Endspiel sind die Positionen von denen normaler Partien nicht mehr zu unterscheiden.

Während Topspieler wie Wassili Iwantschuk das „Freistil-Schach“ grundlegend ablehnen, gewinnt Leko Fischer Random einen äußerst positiven Aspekt ab: „Endlich muss man sich nicht mehr die ganze Nacht hindurch mit den Eröffnungszügen des nächsten Gegners plagen. Die beste Vorbereitung für den nächsten Tag besteht darin, gut zu schlafen!“ HARTMUT METZ