Der weiße Affe

Wenn es darum geht, den Dancefloor-Cup zurück nach England zu holen, sind Basement Jaxx derzeit die aussichtsreichsten Kandidaten. Nur an einer medientauglichen Inszenierung fehlt es ihnen noch

von HOLGER IN’T VELD

Eine Schneeflocke im Juni. „Kommst du mit in den Zoo?“, fragt mich mein Freund. Es ist Samstagnachmittag. Wir sitzen, umgeben von übernächtigten Sonnenbrillengesichtern, in einem Café in Barcelona, wo sich – mittlerweile im achten Jahr – ein Sommerwochenende lang die besserwisserische Dance-Szene versammelt: das Sonar-Festival.

Obwohl in den nächsten Stunden das US-Label Matador seine rhythmischen Neuzugänge vorstellt, HipHop-Minimalist DJ Vadim auflegt und sogar seine Hoheit John Peel eine DJ-Audienz gibt, will mein Freund in den Zoo. Sicher – Schneeflocke, seit 25 Jahren im Gehege von Barcelona zu Hause, ist eine echte Attraktion: der einzige Albinogorilla der Welt. Der Grund, der meinen Freund – übrigens ein Engländer – antreibt, ist aber ein anderer. Er hat mit Musik zu tun. Und mit Fanatismus. Und mit Basement Jaxx. Denn „Rooty“, die neue CD des englischen DJ/Produzenten-Duos, hat Schneeflocke auf dem Cover.

Grund genug für den Fan, die nebenan spielenden Zweit- und Drittplatzierten zu ignorieren und den Fährten des Champions zu folgen. Denn glaubt man der englischen Style-Presse, dann sind Basement Jaxx auch mit ihrer zweiten Platte wieder der ganz heiße Scheiß: Die Pop-Bibel The Face platzierte schon zwei Monate vor der Veröffentlichung des zweiten Basement-Jaxx-Albums einen Hinweis auf der Seite mit den Plattenkritiken, der besagt, dies hier sei alles nicht so wichtig – man soll sich sein Geld lieber für „Rooty“ aufsparen.

Sicher hängt solche Emphase auch mit sportlich-nationalistischen Gefühlen zusammen. Denn wenn es darum geht, den Cup des weltbesten Dance-Duos von den cleveren Franzosen Daft Punk zurück nach England zu holen, sind Basement Jaxx die aussichtsreichsten Kandidaten. In dem Format, wo die Stereo MCs zu alt, Orbital zu kalt und Leftfield zu schwerfällig sind, könnten Simon Ratcliffe und Felix Burton noch mal was reißen. Und wenn die erste Basement-Jaxx-Platte im Sog des ersten Daft-Punk-Albums keine echte Chance bekam, dann eben jetzt.

Das Problem dabei ist allerdings das alte: Anders als Daft Punk können Ratcliffe und Burton noch immer nicht auf eine medientaugliche Inszenierung zurückgreifen. Sie sind zwei unauffällige 30-Jährige, die sich nur durch das multiethnische Südlondoner Viertel Brixton hervorheben, in dem sie freiwillig leben. Hier ist es arm, bunt, lebendig und voll literarischer Qualität, hier arbeiten auch die Stereo MCs, von den genannten Duos musikalisch am verwandtesten.

Doch während die Stereo MCs sich auf dem langsamen, aber unabwendbaren Altersweg dem Reggae (wie schon Pressure Drop und Rockers Hi-Fi) zuwenden, haben Basement Jaxx mit solchen Schaukelstuhlszenarien nichts zu tun. Zu HipHop und Frauenstimmen gehört hier nicht Jamaika und der funky Drummer, sondern House, Breakbeat und Karneval.

Burton und Ratcliffe sind keine Mucker, weder am Instrument noch an den Knöpfen. Für „Remedy“, das Debüt, haben sie alles auch auf kleinen Transistorradios gehört, und wenn die HiHat da nicht vernünftig kam, dann ging man noch mal ran an den Sound. „Mit Rooty waren wir viel weniger anal“, bezeugt Ratcliffe. „Wir haben allein auf ein paar Sampler und ein altes Mischpult zurückgegriffen. Aber für die allermeisten Leute spielt das eh keine Rolle.“ Burton nickt: „Es gibt so viele Nerds in diesem Geschäft“, sagt er, „letztens erst hat uns einer von einem neuen HiHat-Kompressor erzählt. Ist das wichtig? Es ist doch nur eine HiHat. Wenn das Ende der Welt kommt, willst du dann sagen: ‚Aber zumindest habe ich meinen HiHat-Sound im Griff‘?“

Zum besseren Verständnis: Die HiHat, das kleine, zischende Doppelbecken des Schlagzeugs, ist ein wesentliches Element so gut wie jeder Dance-Track – und das ganz besonders bei Basement Jaxx, wo es klingelt, zischt und jubiliert. Der Bass ist demgegenüber sekundär. Statt tief in elektronische Welten einzutauchen, bevorzugen sie die rauere Oberfläche des HipHop und verweisen dabei beständig auf ihre DJ-Tätigkeit – Überlagerungen und scharfe Breaks, auf keinen Fall aber längere atmosphärische Auszeiten.

Basement Jaxx bauen ihre Stücke dicht und füllen die Felder mit Spektakel – sie betreiben die strukturelle Rhythmifizierung der Musik weigehend ohne bindende Flächen. Dabei fallen die Samples – u. a. von Earth Wind & Fire, Chic und Gary Numan – in die Strukturen von House, HipHop und Breakbeat. Als Stimmen holen sie keine geschulten Sängerinnen, sondern Freundinnen und Menschen aus der Nachbarschaft. Für übertriebene Eleganz haben Burton und Ratcliffe keinen Sinn. Während sich Daft Punk mit Robotermasken zu Cyborgs stilisieren, machen Burton und Ratcliffe den Partyaffen.

Der Erfolg gibt ihnen Recht. Eine Clubnacht in Brixton diente übrigens als Namensgeber für den Plattentitel: „Rooty“ findet allmonatlich in einer Kneipe statt. „Es ist ein Pub mit angeschlossenem Raum für fünfhundert Leute“, sagt Burton. „Billige Getränke und kein Gorilla an der Tür.“ Schneeflocke ist drinnen, tanzen.