oliver fuchs
special guest
: Das T-Shirt des Dorian Grey

An der Supermarktkasse lachen junge Frauen über dich. Beziehungsweise über dein Oberhemd. Was jetzt?

Neulich bei einem Konzert. Die Band spielt Rock. Der Sänger trägt ein T-Shirt. Irgendetwas kommt einem komisch vor. Es ist das T-Shirt. Die Ärmel sind anders. Der Sänger hat sie hochgekrempelt. Man denkt: Oh! Man denkt: Warum? Wenn es ein Kleidungsstück gibt, das eine runde Sache ist, dann ist es ja wohl das T-Shirt. Was ist bloß los? Die Krise des T-Shirts vielleicht? Oder die Krise des Mannes, der T-Shirt trägt?

Vielleicht hat es der Sänger selbst bemerkt, beim Aufstehen. Vielleicht hat er Fotos von sich gesehen, aufgenommen bei Gelegenheiten, wo er vorher dachte: T-Shirt an und fertig! Perfekt! Auf den Fotos sieht er aber nicht perfekt aus. Nicht mal gut.

„Scheiße“, denkt er.

„Scheiße seh ich aus.“

Das ist der Tag im Leben eines Mannes, an dem er merkt, dass T-Shirts zu einem Problem geworden sind. Wenn an der Supermarktkasse stilbewusste junge Mädchen kichern – über das abgetragene „Lemonheads Tour 1993“-T-Shirt, das der Mann sich im Halbschlaf eher übergeworfen als angezogen hat, dann sind das erste Anzeichen.

Es nützt nichts zu denken: Was geht die mein T-Shirt an? Wieso mischen die sich überhaupt ein? Das ist eine Sache zwischen mir und meinem T-Shirt. Fakt ist, dass der Mann in der Öffentlichkeit an einem Kleidungsstück gescheitert ist.

Ein T-Shirt kann nie falsch sein, dachte er morgens noch beim Aufwachen. Jetzt weiß er: Ein T-Shirt kann:

– zu alt und zu eng sein

– zu weit und zu neu sein

– schlecht bedruckt sein (technisch)

– schlecht bedruckt sein (inhaltlich).

Ein T-Shirt hat ihn bloßgestellt. Als Rache für die Beiläufigkeit, mit der er es gekauft hat (ohne Anprobieren), für die Beiläufigkeit, mit der er es nach dem Waschen immer ins Regal geknüllt hat. Und für die Beiläufigkeit, mit der er es getragen hat.

Beim nächsten T-Shirt-Kauf geht er also in die Umkleide und stellt fest, dass „XXL“ keine Konfektionsgröße ist, sondern ein Werturteil. So heißen Burger und Schokolade.

Das ist das Biestige am T-Shirt: Es will mit genauso viel Bedacht gewählt werden wie eine Hose. Weil die Größen aber so ungenau sind, drängt es einem eine gewisse Leichtfertigkeit geradezu auf. Deshalb nimmt man gleich zwei oder drei auf einmal, so wie man im Kassenbereich vom Baumarkt rasch noch ein Set Spachtel einsteckt. Für alle Fälle.

„Ich bin dein Freund“, sagt das T-Shirt. Ich halte immer zu dir. Das kann zum Problem werden. Denn weil der Schrank immer voll ist mit intakten alten T-Shirts, gibt es nie einen vernünftigen Grund, ein neues zu kaufen. Der Gedanke, dass T-Shirts wirklich gar keine Ansprüche stellen, dass sie alles mit sich machen lassen und einfach nicht kaputtgehen, kann einen richtig fertig machen.

Der Mann kauft kein neues T-Shirt. Er geht nach Hause und schaut sich die alten T-Shirts an. Als er den Kleiderschrank öffnet, sieht er: Das Logo vom „Starkbieranstich Andechs 1984“ bröselt schon leicht herunter, während sich die Lettern auf dem „Evangelisches Jugendwerk Würzburg Irland-Freizeit 88“-T-Shirt erstaunlich gut halten.

Er weiß, dass er diese T-Shirts nicht mehr lang tragen kann. Er ahnt, dass er ein Fotoalbum anlegen und die T-Shirts hineinkleben muss. Der Mann blickt an sich herunter und sieht ein ausgebleichtes T-Shirt, das mit einem Bild von ihm bedruckt ist.

Bis vor ein paar Tagen war es so: Je älter das T-Shirt aussah, desto jünger fühlte er sich. Jetzt merkt er: Der auf dem T-Shirt ist so jung, dass es ihn alt aussehen lässt.

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