Zypern wäre der Ernstfall für die EU

Galileo muss her – das meinen alle EU-Mitgliedsstaaten. Auch seit das Nato-Mitglied Türkei diesbezügliche Bemühungen der Europäer ausbremst, wächst die Bereitschaft, in eigene militärische Strukturen zu investieren

BRÜSSEL taz ■ In einem Punkt sind sich alle EU-Mitgliedsstaaten und die großen Fraktionen des Europäischen Parlaments einig: Galileo muss her. Die Geister scheiden sich aber, sobald die Frage auftaucht, wer das Ganze bezahlen soll. Nicht zufällig sind die Franzosen dafür, ein europäisches Satellitennavigationssystem auch ohne Beteiligung der Wirtschaft zu entwickeln. Denn Frankreich will endlich von US-amerikanischen und Nato-Strukturen unabhängig werden. Dabei geht es den Franzosen weniger um die Frage, von welchem Betreibersystem ihre Autos ferngelenkt werden, als darum, eine eigene Krisen- und Kriegsinfrastruktur aufzubauen.

Ebendarum wollen die Briten Galileo nicht um jeden Preis. Sie arbeiten schon immer eng mit dem großen Bruder zusammen, zum Beispiel beim Lauschsystem Echelon. Deshalb haben sie kein Problem, sich militärisch auf das amerikanische Global Positioning System (GPS) zu stützen. Sollte sich die englische Linie durchsetzen, erhöhen sich die Chancen für eine öffentlich-private Partnerschaft bei Galileo. Denn private Investoren scheuen ja gerade zurück, weil sie befürchten, in Krisenzeiten könnte privaten Galileo-Nutzern einfach der Saft abgedreht werden.

Genau dieser Aspekt ist es, der die Grünen im EU-Parlament aus der großen Koalition der Galileo-Fans ausscheren lässt. Ist das System einmal betriebstüchtig, argumentieren sie, könnte die Hemmschwelle beim Planungsstab der EU-Krisentruppe sinken, im Alleingang, ohne Nato-Beteiligung die Welt zu retten.

In einem Spiegel-Interview vom letzten Jahr hat der außenpolitische Vertreter der EU, Javier Solana, das bestätigt. Auf die Frage, ob die Satellitenaufklärung der damals noch bestehenden Westeuropäischen Verteidigungsunion (WEU) ausreichend sei, antwortete er: „Sie ist besser als ihr Ruf, aber wir wären gerne noch besser. Wir kennen unsere Schwachpunkte, sie liegen beim Lufttransport, bei Befehlssteuerung und Kommunikation und bei der Aufklärung.“ Ob die EU denn künftig militärisch von GPS unabhängig sein werde, wollte der Reporter darauf wissen. Solana antwortete: „Das entsprechende europäische System Galileo ist im Entstehen.“

Seit das Nato-Mitglied Türkei die Bemühungen der Europäer ausbremst, einen eigenen Zugriff auf Nato-Ressourcen für EU-Krisenaktionen zu erhalten, wächst innerhalb der Union die Bereitschaft, in eigene militärische Strukturen zu investieren. Die außenpolitische Konstellation ist verzwickt: Die Türkei bemüht sich zwar einerseits um eine Mitgliedschaft in der EU, andererseits beobachtet sie mit Argusaugen den Beitrittsprozess Zyperns. Wirtschaftlich gehört die international anerkannte Republik Zypern mit überwiegend griechischer Bevölkerung zu den am weitesten fortgeschrittenen Kandidatenländern. Politisch aber ist offen, was mit dem türkischen Nordzypern geschehen soll, das nur von der Türkei als eigener Staat anerkannt wird.

Sollte nach dem Beitritt der Republik Zypern die UNO die Insel verlassen und eine EU-Krisentruppe an der Green Line in Stellung gehen,würde ein türkisches Horrorszenario wahr. Es versteht sich, dass die Amerikaner ihr GPS für solche Zwecke nicht zur Verfügung stellen würden, um den Bündnispartner Türkei nicht zu verprellen. Spätestens dann könnte Galileo für Europas Militärs sehr nützlich werden. DANIELA WEINGÄRTNER