„Bedürfnisse nicht ignorieren“

Der DGB kritisiert die rot-grüne „Verkehrswende“ als reine Rhetorik. Sie sei zu wenig an den Menschen orientiert und zu wenig ehrgeizig. Bei neuen Mobilitätskonzepten müssten alle Beteiligten gewinnen, um die Umsetzung sicher zu stellen

von NORBERT PAGEL

Deutliche Kritik an der Verkehrspolitik der rot-grünen Bundesregierung hat gestern DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer geübt. Bei „aller Rhetorik vom integrierten Verkehrskonzept“ fehle eine ehrgeizige Zielvorgabe des Verkehrsministeriums. Stattdessen dominiere eine Politik des ‚Weiter so“. Dass es auch anders geht, zeige der Leitfaden „Strategien für die Mobilität der Zukunft“, den der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gestern gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) in Berlin vorstellte. Er ist Ergebnis eines Forschungsprojekts, das das Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Auftrag der HBS durchführte. In dem zweibändigen Werk werden verkehrspolitische Konzepte aus Städten, Regionen und Betrieben präsentiert.

Mobilität stelle eine unabdingbare Voraussetzung für jedes moderne Wirtschaftssystem dar, erklärte Putzhammer. Gleichzeitig sei aber auch klar, dass der derzeitige Anstieg um 11 Prozent im Verkehrsbereich nicht zu akzeptieren sei, wenn die deutschen Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent gesenkt werden sollen.

Der Gewerkschafter legte viel Wert darauf, dass die zunehmenden Mobilitätsbedürnisse der Bevölkerung in der Diskussion um eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung nicht ignoriert werden dürften. Eine Verkehrspolitik an den Menschen vorbei sei zum Scheitern verurteilt: „Sie müssen abgeholt werden, wo sie sind.“ Sie wählten Verkehrsmittel meist aufgrund individueller rationaler Erwägungen. Aufrufe wie „Die Menschen sollen nicht so oft in den Urlaub fliegen“ brächten nichts. Stattdessen müsse der Druck von unten, das heißt vor Ort erzeugt werden.

Deshalb zeige der vorgestellte Leitfaden anhand von „Good Practice“-Konzepten, wie in den vergangenen Jahren zahlreiche Initiativen für eine soziale und ökologische Verkehrspolitik vor Ort eingetreten seien. Putzhammer sagte, dass auf betrieblicher Ebene bereits Erfolge erzielt worden seien, die durch innerbetriebliches Mobilitätsmanagement aber noch verbessert werden könnten. Wichtig bei den Konzepten sei, dass alle Beteiligten gewinnen müssten, da sie ansonsten an der Umsetzung scheiterten. Man wolle „alle ermutigen, die sich für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik einsetzen und Anregungen geben, wie sie ihre Ideen umsetzen können“. Natürlich könne man die Beispiele nicht eins zu eins in den eigenen Betrieb, die Stadt oder Region übertragen. Je mehr Informationen zur Verfügung stünden, desto leichter sei es aber, Modelle für den individuellen Bedarf zu entwickeln.

Ulrich Petschow, Leiter der Verkehrsforschung am IÖW, präsentierte am Beispiel der Lufthansa die erfolgreiche Umsetzung eines Konzepts auf betrieblicher Ebene. Die Lufthansa verfolge ein umfassendes betriebliches Mobilitätskonzept, unter anderem durch Jobtickets, CarPool, elektronische Mobilitätsberatung, Förderung von Fahrgemeinschaften und internen Busverkehr. Die Unternehmensleitung und der Betriebsrat seien intensiv mit dem innerbetrieblichen Marketing befasst. Mit Erfolg: Das Car-Pool-System sei zu 65 Prozent ausgelastet, das Jobticket werde angenommen und der Anteil der Radfahrer und der Fahrgemeinschaften habe deutlich zugenommen.