„Druck nimmt man hin. Fertig.“

Einen Monat vor dem ersten Saisonspiel gegen den FC St. Pauli spricht Hertha-Trainer Jürgen Röber über die besten Herthaner seit Jahren, die gierige Hauptstadtöffentlichkeit und über seine liebe Not, die Ansprüche von 28 Bundesliga-Profis zu vereinen

Interview MARKUS VÖLKER

taz: Herr Röber, haben wir es in diesem Jahr wieder mit der stärksten Hertha überhaupt zu tun?

Jürgen Röber: Ja, sicherlich. Das sagen wir jedes Jahr. Das haben wir letztes Jahr gesagt, das Jahr davor und das sagen wir nun natürlich auch.

Warum so bescheiden?

Wir haben uns mit einer Reihe guter Spieler verstärkt. „Paule“ Beinlich muss man im Grunde auch noch dazu rechnen, weil er im letzten Jahr kaum gespielt hat. Wir haben eine gute Truppe.

Die Formel „So gut wie nie“ erregt doch nur noch müdes Wohlwollen in Berlin?

Die Mannschaft ist ja qualitativ wirklich besser bestückt. Wir stehen selbstverständlich immer unter Druck und müssen sehen, dass es vorwärts geht.

Schon sehr genervt vom alljährlichen Gerede über die Meisterschaft?

Das ist doch uninteressant. Damit muss man einfach leben. Wir wollen international spielen. Logisch. Und möglichst in die Champions League rein.

Wie rasant geht’s denn mit der Hertha voran?

Das ist doch unmöglich zu sagen, nach ein paar Tagen Training. Nur so viel: Wir haben uns sinnvoll verstärkt.

28 Mann stehen im Kader.

Es ist sicherlich nicht einfach, eine gute Mischung zu finden. Elf Mann können nur spielen, achtzehn sind im Kader, also müssen zehn zu Hause bleiben. Schwer. Aber wir brauchen einfach einen großen Kader, wegen Verletzungen und der Mehrfachbelastung.

Manch ein Profi wird schmollen, wenn er nicht aufgestellt wird.

Ja, man muss die Leute bei Laune halten. Wir werden viel rotieren. Vielleicht ist einer mit nur 25 Saisonspielen Stammspieler. Es wird außerdem Stammspieler geben, die vielleicht nur auf der Bank oder der Tribüne sitzen ...

... und über mangelnde Zuwendung klagen.

Es ist kaum möglich, jedem in solch einem Haufen Aufmerksamkeit zu geben.

Der Verein hat angekündigt, die Plaudereien Enttäuschter schärfer zu sanktionieren.

Eine gewisse Disziplin ist wichtig. Es kann nicht angehen, wenn Spieler ihre Unzufriedenheit nach außen tragen. Da sind wir die Ansprechpartner, der Dieter Hoeneß oder ich. Bayern München hat auch Nationalspieler auf der Tribüne. Mit so einer Situation müssen die Spieler lernen umzugehen.

Apropos Bayern, wie nah kann Hertha den Münchnern kommen?

Wir gehören sicherlich zu den Teams wie Dortmund, Schalke, Leverkusen, die um die ersten Plätze spielen sollten. Das Maß aller Dinge aber bleibt Bayern München.

Wie eng ist die Symbiose Jürgen Röber – Hertha, Sie gehen immerhin ins sechste Jahr?

Das ist sicherlich für eine Medienstadt wie Berlin sehr lange.

Ziemlich lang.

Richtig, aber das heißt ja nicht, dass ich noch vier, fünf Jahre hier bin. Alles ist auf Erfolg ausgerichtet. Ich stehe unter Druck. Die Mannschaft steht unter Druck. Und die Hauptstadt Berlin möchte so schnell wie möglich oben in die europäische Spitze rein. Den permanenten Druck habe ich immer ertragen müssen.

Die Anpassung an den schnelleren Zeitlauf sichert Ihr Überleben?

Das ist so. Wenn ich Erfolg habe, werde ich die nächsten Jahre hier noch weiter arbeiten. Wenn nicht, dann muss man damit rechnen, dass man sich irgendwann mal trennt. Ich werde versuchen, oben zu bleiben und die Vorgaben zu erfüllen. Ich muss aber gleichzeitig immer versuchen, die Kirche im Dorf zu lassen. Vor fünfeinhalb Jahren waren wir noch fast in der Amateur-Oberliga.

Berlin ringt momentan mit seiner Vergangenheit. Mief, Kiez und Kumpelnest sind die Schlagworte. Ist Hertha davon ausgenommen?

Die Vergangenheit zählt nicht. Es bleibt auch nicht viel Zeit zum Nachdenken. Die Zeit nimmt man sich nicht. Wir müssen sehen, dass wir Erfolge liefern. Die Stadt ist hungrig danach. Wenn’s nur der Uefa-Cup-Platz ist, ist man, auch aufgrund der Mediensituation, schon unzufrieden. Damit muss man freilich leben.

Und wie lebt es sich damit?

Wir haben mal gesagt: Jetzt ein bisschen ruhiger. Aber das ist uninteressant. Wir müssen sehen, dass wir den Ansprüchen gerecht werden. Das ist einfach so. Der Druck ist da. Ich jammere nicht darüber. Das nimmt man hin. Fertig, Schluss, Aus.

Die Gier nach Erfolg zehrt aber am Verein und an Ihnen?

Das ist nun mal heute so. Wir sind ja nicht in Bremen, sondern in der Hauptstadt. Wir müssen uns dem stellen. Klar, es vergeht alles wie im Zeitraffer. Ich konnte den Aufschwung gar nicht so genießen, wie ich es hätte tun wollen. Die Champions League etwa raste nur so an uns vorbei. Das geht alles verdammt schnell.

Wird das Tempo irgendwann zu hoch sein für Sie?

Man hat Strategien entwickelt, um mitzuhalten: Körperlich fit bleiben, versuchen abzuschalten. Das ist unwahrscheinlich schwer. Man muss sich auch immer weiter pushen. Das ist wie so eine Droge.

Abhängig vom Erfolg?

Wir sind manchmal wie ganz große Künstler, die in vollkommen anderen Sphären drin sind. Es ist so bei mir: Du musst dich immer weiter fordern und unter Druck setzen. Alles aus dem Team und dir selber rausholen.

Sie haben offenbar großen Spaß daran?

Klar, dass muss man haben, positiv verrückt sein, um in den Bereich da oben reinzukommen. Die Luft wird dort immer dünner. Der Anspruch immer höher. Du darfst dich nie zurücklehnen und mal genießen. Wenn du das machst, ist es ein Rückschritt.

Hertha verschafft Ihnen also die tägliche Dosis Starkstrom, vertragen Sie das auf Dauer?

Ich bin körperlich gut drauf. Ich sitze nicht nur rum und fresse Probleme in mich rein. Ich bin sehr impulsiv. So lässt sich das ertragen.