„Man muss eben Zeit haben für Bratkartoffeln“

Das sollte man gegessen haben: Der Kulinarikpapst Jacques Schroppel über seinen Küchen-Kanon. Blumenkohl und Leber gründlich behandeln

taz: Herr Schroppel, Sie haben für die Wahrheit Ihren persönlichen kulinarischen Kanon zusammengestellt, die Summe Ihrer Erfahrung als Koch. Gibt es überhaupt einen Bedarf für eine solche Liste kulinarischer Pflichtprobehäppchen?

Jacques Schroppel: Ein Kanon ist nicht etwa ein Gesetzbuch, sondern eine Liste empfehlenswerter, wichtiger und exemplarischer Gerichte. Die Frage, ob wir einen solchen Katalog benötigen, ist mir unverständlich, denn der Verzicht auf einen Kanon würde den Rückfall in die Barbarei bedeuten. Ein Streit darüber, wie der Kanon aussehen sollte, kann dagegen sehr nützlich sein.

Wie lange kann ein solcher Kanon Gültigkeit haben? Der Geschmack ändert sich doch – von Individuum zu Individuum, von Epoche zu Epoche.

Jeder Kanon ist ein Produkt seiner Epoche und vom persönlichen Geschmack gefärbt. Wie er in 20 oder 30 Jahren aussehen wird, interessiert mich nicht.

Wie wollen Sie Ihre hehren Ziele erreichen? Mit einem entsprechend ergänzten und aktualisierten Kanon?

Umgekehrt – zunächst mit einem entsprechend gekürzten, mit einem rigoros zusammengestrichenen Speiseplan. Aufwändige Zubereitungen muss man, wie schmerzhaft es auch sein mag, weglassen, ein Soufflee oder Blätterteig etwa.

Sind diese Gerichte nicht gut genug?

Ich kenne keine besseren. Aber sie sind für Schüler zu schwierig und zu anspruchsvoll.

Im Vordergrund sollten Kurzgebratenes, Salate und Aufläufe oder – besser noch – Nudeln stehen.

Von der internationalen Küche bleibt nichts im Kanon?

Oh doch, durchaus: Englischer Yorkshire-Pudding.

Und deutsche Rezepte – was sollte davon in den Unterricht gelangen?

Da muss man rigoros und konsequent sein. Man muss eben Zeit haben für Bratkartoffeln, da gibt es insgesamt nicht weniger als 20 bis 30 Zubereitungsarten. Ferner sollte man auch Schweinebraten gründlich behandeln und Blumenkohl und Leber.

Blumenkohl und Leber – bringen Sie da nicht etwas durcheinander?

Durchaus nicht. Hier haben wir es mit Nahrungsmitteln zu tun, bei denen es nur auf die Garzeit ankommt.

Und ist das alles aus der deutschen Küche?

Genügt Ihnen das nicht? Da hilft nun nichts: Wenn man das Zentrale in der deutschen Küche „durchnehmen“ will, muss man auf Fenchel ebenso verzichten wie auf Auberginen, von Straußenfilet ganz zu schweigen.

Glauben Sie, dass Suppen, die Sie wohl nicht ignorieren wollen, junge Menschen noch interessieren?

Mit Sicherheit. Nur muss man die Entstehung einer Suppe aus heutiger Sicht erklären. Bei einer Zwiebelsuppe bietet sich die Parallele zu den Vorgängen um 1968 wie von selbst an. Ich habe einmal mit einer Abiturientenklasse darüber geredet. Sie fanden die Portion, die sie gerade gegessen hatten, sehr fade. Aber der Vergleich der Zwiebelsuppe nach dem Rezept aus der Pariser Kommune mit einer Erbsensuppe nach Heinemann hat sie, ich übertreibe nicht, beinahe fasziniert.

Wie aber soll man mit den Süßspeisen und den Desserts umgehen?

Es ist Zeit, vieles, was längst verstaubt ist, zu streichen, also Grütze und Pudding.

Das ist ja nicht zu glauben: Sie wollen den Schülern solche Glanzstücke wie Milchreis und Grießbrei vorenthalten?

Jede Diskussion über den Kanon leidet darunter, dass die Gesprächspartner sich gern auf Gerichte berufen, die sie vor Jahrzehnten gegessen haben. Sie wollen nicht bedenken, dass im Laufe der Zeit sich vieles überlebt hat. Essen Sie noch einmal Ihre Lieblingsspeisen, Sie werden verblüfft erkennen, dass nicht nur Sie gealtert sind.

Wird eine 15-jährige Schülerin Schmorbraten zu schätzen wissen? Muss man dazu nicht mindestens 50 sein?

Beim Schmoren geht es vor allem um die Liebe, wie im Übrigen auch umgekehrt. Daran sind viele Mädchen und Jungen im Schulalter nach wie vor stark interessiert, auch wenn sie darüber nicht gern sprechen.

Und Saucen? Was ist mit der Hollandaise?

Das ist natürlich eine ehrenwerte Sache, aber Saucen gehören doch nicht in einen Kanon für Schulen. Obwohl – Hollandaise? Jawohl, Recht haben Sie, ich gebe nach und nehme die Hollandaise in meinen Kanon auf. Kochen muss Spaß machen.

Herr Schroppel, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

INTERVIEW: CAROLA RÖNNEBURG