Ballernde Stammzellen

Mit dem Film „Tomb Raider“ haben auch Kulturwissenschaften und Feuilleton Lara Croft entdeckt. Man feiert den Digi-Feminismus und lässt den ideologischen Müll einfach durchrutschen. Wie eine Heldin zwischen Karikatur und Wichsvorlage zum Paradigma einer neuen Kulturindustrie wird

Bei Lara kann man über eine ironische Brücke die Geilheit aufrechterhalten

von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Manchmal sind die Leute doch wirklich zu reflexhaft. Wie Lara Croft jetzt noch mal so richtig zum Thema der Feuilletons und aller möglichen organischen Kulturwissenschaftler wird, ist genauso altmodisch wie die sechsundfünfzigste Rückkehr der Big-Brother-Diskussion durch das französische Loft-Äquivalent, auf das zu allem Überfluss natürlich Baudrillard den ersten Voyeurismus-Vergleich-Stein werfen muss, obwohl doch jeder weiß, dass Menschen, die wissen, dass man ihnen zusieht, unmöglich zu Objekten von Voyeuren werden können. Genauso dementiert die Tatsache, dass Kulturwissenschaften und Feuilletons erst durch den Film so richtig auf Lara Croft aufmerksam geworden sind, genau deren Diagnose von der Neuheit dieser Figur, denn die war ja als Tomb-Raider-Digi-Göttin neu, nicht aber als Angelina Jolie. Na ja, im Verhältnis wird der Blick auf das digitale Vorbild vielleicht erst möglich.

Hoch im Kurs ist zur Zeit die Rede vom neuen künstlichen Menschen Croft. Das lässt sich gut mit anderen neuen Menschen und den diversen Sci-Fi-Debatten rund um die Gähntechnologie vernetzen. Lara, die ballernde Stammzelle. Besonders niederschmetternd ist dann, dass nicht die erwartbar verquatschten Spekulierschwartlappen wie Sloterdijk, sondern bewährte Kräfte wie Christina von Braun Parallelen zwischen echten gezüchteten neuen Menschenkörpern und neuen digitalen Formen der Darstellung ziehen. So geschehen neulich in der 3-Sat-Sendung „Kulturzeit“ in einem Lara-Croft-Bericht. Ist die Kulturwissenschaft so weit weg von den Phänomenen, dass ihr der Status dieser Figur überhaupt nicht klar ist? Lara Croft ist eine Station in einer Reihe digitaler Darstellungsmittel, die darin auch einen neuen Stand markierte, aber mitnichten ist sie mit diesem Darstellungsmittel identisch. Und es gibt da draußen auch keine echten Avatare mit dicken Titten, die die Berliner Humboldt-Universität platt machen wollen, auch wenn die Gegend rund um den kambodschanischen Tempel Angkor Wat, in der sich Lara im Film rumtreibt, dem namensgebenden Entdeckungsreisenden dieser Uni sicher Spaß gemacht hätte.

Lara handelt nicht von neuen künstlichen, sondern alten projizierten Menschen, ja den allerältesten, von Männerphantasien und Abenteurern: Sie zeigt sie nur anders, so wie sich Zeichnung und Malerei unterscheiden. Weder Film noch Game handeln von jenem Stoff, der von „Alraune“ bis „Blade Runner“ in drei Milliarden Filmen Thema war. Die Fortschritte in digitaler Gestaltung und die des genetic Engineering sind zwei völlig verschiedene paar Khakishorts. Und jedes unter dem Regime sexistischer Normen vergossene Gramm Silikon rechtfertigt die kulturdiagnostische Engführung von Körpererneuerungs- und -züchtungsprogrammen mit populärkulturellen Formen tausendmal mehr als die Digitalität der Darstellungsmittel der Lara Croft. Etwas anderes wäre es, wenn wir über die Ideologie dieser Darstellung redeten – die hat aber nichts mit Digitalität zu tun. Jedenfalls so wenig wie Mickymaus mit der Erfindung der Kalaschnikow – obwohl auch die irgendwo an der Humboldt wahrscheinlich enggeführt werden.

Lara Croft ist sicher zunächst eine sexistische Phantasie suprême. Jedoch eine ironische, sie enthält eine augenzwinkernde Selbstkritik, mit der ihr Designer schmunzelt: „So sind wir Männer.“ Und sein Kumpel im Digi-Lab lässt noch ein paar Extratittenpixel rüberwachsen: „Lass uns ein bisschen übertreiben.“ Gerade Junge und mitteljunge Jungs finden die digitale Lara richtig geil. Vor allem deswegen, weil sie auch noch süß ist. Digitale 3D-Wesen sind so glatt und flutschig, und diese besondere visuelle Qualität – die ja eigentlich einem Mangel an erstrebtem Naturalismus entspricht – lässt sich in dem Zwischenreich zwischen Karikatur und Wichsvorlage, wo ja viele öffentliche Frauenkörper zur Zeit angesiedelt sind, hervorragend nutzen. Doch auch die diversen sexistischen Markierungen fallen der verdienten Feministin von Braun nicht auf, statt dessen behauptet sie, Croft befriedige die Sehnsucht nach Vereinigung der zwei Geschlechtercodierungen in einer neuen, übermächtigen Gestalt. Wie bitte? Ja, weil Croft gleichzeitig kräftig bis omnipotent und weiblich sei. Aber das war doch auch schon Pippi Langstrumpf. Das undigitalste Wesen unter den neuen Menschen.

Man könnte natürlich noch argumentieren, dass Lara, die bis dato Avatar, also eine Figur zum Hineinschlüpfen für die Spielenden war, auf diese Weise ein paar ballernde Jungs in Gender Trouble gebracht hätte. Schließlich mussten sie sich ja mit Lara identifizieren. Aber vergiss es. Was heißt schon identifizieren bei Avataren? Man nennt es: die Puppen tanzen lassen. Und über eine ironische Brücke hinweg ihre Geilheit aufrechterhalten können solche Jungs genauso wie die Verehrer von Little Annie Fanny aus dem Playboy der 70er. In Lara aber gar eine feministische Veranstaltung zu sehen, nur weil sie, wie es so doof heißt, „eine Männerdomäne erobert“ hätte, ist verstiegen. Auch vom zuweilen herangezogenen „Tank Girl“ unterscheiden sie da Welten: ihre spezifische digitale Hübschheit, ihre Devo-Kraftwerk-balletthaften Bewegungen, die Gazelle-Roboter-Verschmelzung scheinen doch eher im Modus der elektronischen Ironie deren spezifische Sexualisierung zu erproben. Wogegen noch nicht so viel einzuwenden wäre, wenn sie nicht wieder an klassisch-sexistische Stereotype des Weiblichen unlocker angebunden wären.

Es geht um die spezifische kulturelle Verkörperung dieser technisch-medialen Stufe, um die Definition opaker Digitalhaut als gleichzeitig lecker Partialobjekt für Frühpubertäre und Interface eines Vollbildsexismus für Spätpubertäre. Nun wird viel spekuliert über ein langsames Überfluten des Kinos durch die Produkte und auch Ästhetiken der mächtigen Computerspielindustrie. Tatsächlich könnte es zum Paradigma einer nach Film- und Popmusikindustrie auch historisch dritten digitalen Kulturindustrie werden, „content“, wie sie heute sagen, mühelos von Medium zu Medium, von Interface zu Interface zu verschieben. Doch gerade bei Lara Croft ist das ja nun wieder missglückt: die neue Version des „Tomb Raider“-Games wurde nicht rechtzeitig fertig, und der Synergieeffekt vergammelt irgendwo im kambodschanischen Dschungel.

Mancher Feuilletonist hat die Ästhetik der Spiele im Film in den Momenten des Anhaltens und der ungewöhnlich zelebrierten Energieaufnahme wiedererkannt. Diese Momente sind vor allem im Medienvergleich die ideologischsten – vielleicht auch ironischsten: Nun muss auch der Mensch Jolie sich wie so ein durchökonomisierter Roboter auf die Addition und Subtraktion von Lebenskraft reduzieren lassen, wie es bis dahin nur die sarkastischste marxistische Ideologiekritik als auch kulturelles Schicksal der Subjekte schildert – es geht immer nur um Reproduktion! Das fällt nur im Medium Film als Zumutung auf, im Game gehört es eben zu den Regeln. Dann wiederum fällt einem in den Filmen des Regisseurs Simon West, der schon mit „Con Air“ den in dieser Hinsicht allerdings weiterhin unschlagbar blödesten, schlechtesten und rund um faschistischsten Film aller Zeiten gedreht hat, eigentlich auch wieder gar nichts auf.

Avatare hat die Kinoindustrie seit Rambo ja schon viele produziert. Insbesondere Van Damme konnte in dieser und nur in dieser Funktion eigene Genres begründen, deren Ergebnisse zuweilen auch ganz lustig sind, weil ja im Gegensatz zu Games, wo man nur sieht, was auch gepixelt wurde, bei einem Film die Kamera hin und wieder auch Umweltreste mit einfängt, die nicht zu der dicht kalfaterten künstlichen Welt gehören – was bei Van Dammes Schlägereien in aller Welt zuweilen gute Quatschkonstellationen zwischen unpräparierter Echtwelt und Gamesituationen ergibt. Angkor Wat dagegen ist nicht von dieser Welt. Das haben die Roten Khmer bekanntlich zugepixelt. Überhaupt sind ja viele kulturelle Formen der digitalen Welt schon kurz vor ihrem Siegeszug entstanden. Fanzines und Mail-Order-Kultur explodierten schon vor dem Internet und Abenteuer Avatar-artiger Subjekte, die durch Welten wie durch Ebenen und Häuser sich kämpfend bewegten, produziert Hollywood seit den frühen 80ern verstärkt.

Ein Unterschied besteht nur darin, dass immer dann, wenn eine technisch medial geringfügig fortgeschrittene Darstellungsweise erreicht ist und sich als solche auch markieren und zur Schau stellen kann, alle Welt nur noch auf diese schaut und den ideologischen Müll des Content einfach so durchrutschen lässt, ja ihn gar kulturdiagnostisch zur Eigenschaft oder zum speziellen Effekt des Medialen hochjazzt. Gewichst wird derweil immer noch mit derselben analogen Soft- bis Hardware.